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Leseprobe Lockvogel

Kontakt > Holger Schnitker > Bücher

Einleitung

Obwohl einer der letzten Sonnentage war, der den September noch hergab, war Herr Schönhäuser Laune, beim verlassen seines Hauses, am frühen Morgen, der Weg zu seiner Arbeitsstätte nicht gerade sehr wohl gekonnt. Lag es am dem Montag? Der zu beginn der Woche, es keinen Arbeitnehmer leicht machte. Trotz seiner zwanzig Berufsjahre, hätte er sich am liebsten krankgeschrieben. Herr Schönhäuser, war wirklich nicht nach lachen zumute. Obwohl er seine Arbeitsstätte durch den gang durch die Fußgängerzone, mit einem lockeren Fußmarsch in einer halben Stunde erreichen konnte, kam es ihm so vor, als wäre es ein ganzer Tagesmarsch. Was seiner Laune nach, immer noch viel zu kurz war.

Jeder, der nur im entfernten an ihm vorbeiging, muss nicht all so ausgeschlafen sein, um seine schlechte Laune in seiner doch so verkanteten Mimik ablesen. Die sich im verlauf der letzten zwölf Monate immer mehr um mehr sich die Elend näherte.

„Stell dich nicht so an, Schatz!“ munterte ihn seine Frau immer wieder auf, was im laufe der Zeit bei Herr Schönhäuser immer mehr Bedeutung verloren hatte. Hatte er doch mit achtzehn bei seinem Arbeitgeber als Azubi seine Karriere bis zu hin zum Abteilungsleiter hochgearbeitet. Sah er doch schon sein Glück als glücklicher Familievater, seiner siebzehnjährigen Tochter, die so allmählich ihre ersten Liebschaften mit nach Hause brachte.

Er seiner Tochter so langsam klar machen musste, welche Bedeutung, die Biene zu der heutigen Sexualität hat. Ja, Herr Schönhäuser, war wirklich nicht nach Lachen zu muhte.

Magenschmerzen, die seid der Unternehmensumgestaltung eines neuen Hauptkapitalsgebers eine neue neuen Anfang gewonnen hatte. Gehörte noch sein alter Arbeitgeber, vor der Übernahme zu den letzten Arbeitgebern, die bei den Gewerkschaften einen guten Ruf hatte. Gutes Gehalt. Ausreichend Urlaub. Und extra Sondervergütungen. Ja, da machte noch alles seinen Spaß. Aber seid dies nicht mehr gibt. Mehr um mehr auf die Kostenbremse gedrückt wurde. Sehnte sich Herr Schönhäuser an jene Zeiten zurück, die er als jungen Student Anfang der 70iger Jahre, bei manch einer Demo auf der Straße gestanden hatte.

Als Herr Schönhäuser durch den Haupteingang der Bank ging, empfang in wie jeden Morgen der Pförtner, der mit freundlicher Mimik hinter seinem Schreibtisch die Kunde begrüßte. Was eher Herr Schönhäuser mit einem schweigen Kopfnicken erwiderte. Er gehörte wirklich nicht so den Menschen, die viel sprachen. Er hielt sich eher in seiner Art bedenkt. Konzentrierte sich mehr auf seine Arbeit, als Kontakte im Unternehmen zu finden. Vielleicht war das sein Markenzeichen, was seine Ehefrau so an in gezogen hatte. Als, sie damals bei ihm in seiner Abteilung als kleines Kücken angefangen hatte. Und heute, sind die Beide schon fast zwanzig Jahre Verheiratet. Eine Zeit, die in den Augen von Herr Schönhäuser wie im Zug vorbeiging. Eine Zeit, in der er seine geliebte Tochter schnell wachsen sah, als im eigentlich lieb gewesen wäre.

In seinem Büro angekommen, stand wie jeden Morgen seine geliebte gelbe Kaffeetasse auf seinem Schreibtisch, die ihm seine Sekretärin zuvor hingestellt hatte. Sie kannte mittlerweile ihren Chef so gut, dass sie ihm ohne viele Worte seine Wünsche aus den Augen ablesen konnte. Denn sie kannte seine momentane Lage wirklich so gut, dass sie jegliche Unnötigkeiten, in seinem Vorzimmer abfing. Im Betrieb herrschte kein allgemeines gutes Betriebsklima seid der Übernahme. Standen doch noch einige Mitarbeiter auf der Abschussliste, auch bei Herr Schönhäuser Abteilung, gegen was er sich mit allen Mittel, gegen die neue Konzernspitze, die nun in Frankfurt war, sich zu währen versuchte. Lag doch seine Chance als einziger, nicht all so berauschend. Was gegen den Kern der heutigen Globalisierung eher ein Schlag gegen Windmühlen war.

Herr Schönhäuser hatte noch nicht einmal an seinem Schreibtisch platz genommen – die vor hin hochgestapelte Post durchschaut, da klingelte auch schon sein Telefon. Auf dem er nur die Frankfurter Vorwahl sehen musste - da drehte sich auch wieder sein Magen um, die sich Tag für Tag eigentlich nur noch vermehrt hatten. Am liebsten hätte er schon längst den Job hingeschmissen, aber als Familienvater hatte man ja seine Verpflichtungen, und von denen hatte Herr Schönhäuser schon genug Angst. Von was nur seine Sekretärin wusste. Sie kannte sein Geheimnis, dass so nie seine Frau erfahren durfte. Sie wusste, dass er schon seit längerem unter starken Depressionen lit. Sie ihn immer Tabletten bei ihrem Mann besorgen musste, der zum Glück von Herr Schönhäuser Arzt war, und somit ohne großen Papieraufwand in die passenden Tabletten besorgen konnte.

Bevor er zum Telefonhörer griff, nahm er sich noch schnell eine ein. Denn so schlimm waren die Schmerzen wirklich noch nie. Lied er doch seid Wochen schon an Schlaflosigkeiten, Weinkrämpfen, Herzstichen. Und immer wieder kam was Stündlich dazu.

„Hier, Schönhäuser!“ meldete er sich am Hörer.

„Herr Schönhäuser, wie sieht es aus mit ihrer Personalplanung….“ Eine Anspielung, auf kommende Personkürzung. Denn zehn von seinen Mitarbeiter, die musste er Streichen. Aber, wie sollte er sich das vor sich selbst verantworten. Das war die Frage, mit der Herr Schönhäuser nicht klar kam.

„Ich habe ihnen doch schon erklärt…..“ versuchte wieder Mal Herr Schönhäuser seine Bedenken frei Luft zu machen. Denn er kannte die Qualität seiner Mitarbeiter. Wusste, wie sehr sie diesem Unternehmen zu gute kam.

„Herr Schönhäuser, ich möchte jetzt wissen, wer sie nicht mehr in ihrer Abteilung haben möchte….“ das war also der Wert, dass das Unternehmen für ihre Angestellten hatte.

„Aber….“ Versuchte sich Herr Schönhäuser zu erklären. „Wenn sie mir nicht gleich sagen…. Können sie von mir aus gleich gehen!“ wiederholte sich mit zunehmenden Ton, die Frauenstimmen auf der anderen Seite, die nach Herr Schönhäuser Erkenntnis, nach ihrem Dialekt nicht all so weit von ihm gewohnt haben musste. Denn der Saarbrücker Dialekt war wirklich für ihn unverkennbar. Also, hatte diese Frau überhaupt kein Heimatgefühl. Wusste sie nicht, wie sehr die Arbeitslosigkeit im Saarland umging.

„Aber…“ sprach er ihr wieder ins Wort. Aber da hörte er schon das Abdrücken der Leitung, von der anderen Seite. Was er eher mit großer Erleichterung zu Kenntnis nahm. Für ihn der Befreiungsschlag war, auf den er die ganze Zeit gewartet hatte. Denn ihm war sofort klar, dass seine Zeit in diesem Unternehmen mit dem heutigen Zeit einfach zu ende war.

Da klingelte auch schon erneut sein Telefon, und Herr Schönhäuser brauchte nicht hinzusehen, um zu wissen, wer dran war.

„Herr Schönhäuser, kommen sie bitte in mein Büro!“ melde sich schon sein Chef, der gleich auch wieder auflegte. Er war froh darüber, dass ihn eine Schuld mehr genommen wurde. Sich der erste freiwillig zur Strengbank begab. Hatte doch zu diesem Zeitpunkt einfach jeder Angst um seinen Arbeitplatz, dass er sich einfach jeder feste vorgenommen hatte, einfach seine Klappe zu halten.

Gerade wollte Herr Schönhauser sein Büro verlassen, da klingelte sein Telefon ein drittes Mal. Wo zu seiner Überraschung, sich nach dem Display zu folge, die Handynummer seiner Tochter zu sehen war. Aber Herr Schönhäuser wusste, dass er sie niemals wieder hören würde. Sie ihren Weg von nun an, ohne ihren Vater gehen musste.

Erster Teil

01

Jasmin

Ich ging wie jeden Tag früh aus dem Haus. Wollte ich doch meinen allmorgendlichen Gesundheitslauf am Saarufer machen, der trotz des schlechten Wetters mir nicht gerade sehr schwer viel, hatten sich doch am gestiegen Abend so heftig meine Eltern gestritten, dass ich nun mit einer gewaltigen Wut im Bauch auf den bereits von Regenwasser versiegten Wanderweges, so meine Mühe hatte, geradezu unbeschadet eine Spur zu finden. So viele Pfützen hatten sich in kürzester Zeit angesammelt, dass es wirklich das Beste für mich gewesen wäre, doch zuhause zubleiben. Aber hatte beim verlassen des Hauses alles noch so friedlich ausgesehen, dass ich nun wirklich eines besseren belehrt wurde. So sehr es auch regnete, hatte ich irgendwie großen Spaß dabei! War doch dies die einfachste Art, all meinen Frust aus dem Leib zulaufen. So sehr hatte mich der Streit meiner Eltern mitgenommen, dass es mir wirklich nichts ausmachte, an diesem Morgen früher als sonst aufzustehen. Während meine Mitschüler es wahrscheinlich lieber vorzogen, in ihrem gemütlichen, warmen Bett noch die letzten Stunden vor dem allmorgendlich stressigen Schulalltag auszunutzen, auf was ich wirklich nicht aus war. Wollte ich doch so dem allmorgendlichen Frühstück mit meinen Eltern aus dem weg gehen, da konnte es noch so viel regnen wie es wollte, ich lief meine Strecke zu ende.

Zu hause wieder angekommen, war ich sehr erstaunt darüber, dass der schwarze Porsche meines Vaters bereits die Einfahrt unseres Hauses verlassen hatte, war er doch immer der, der mich bis zum heutigen Tage, immer noch schnell vor seinem Arbeitsbeginn zur Schule fuhr. Denn in einem, mit vielen Schülern, dicht gedrängten Schulbus sitzen zu müssen, war wirklich nicht mein Ding.

Rasch trat ich ins Haus ein, ging in einem zackigen Tempo auf mein Zimmer, befreite mich von meinen nassen Kleidern und sprang dann auch schon schnell unter die warme Dusche. Machte mich wenig später frisch gestylt, verpackt in meiner dicken Regenjacke auf zur Bushaltestelle, wo bereits eine größere Gruppe Wartender eingetroffen war, die mich zu Recht ein wenig verwundert anstarrten, hatten sie doch zuvor mein Gesicht noch nie gesehen. Wie denn auch, war doch Vaters Fahrdienst mir da immer am liebsten.

Das Wetter hatte sich zu diesem Zeitpunkt nicht gerade beruhigt, was mir sehr auf die Laune ging, hatte ich doch wegen den geringen Unterstellmöglichkeiten keine andere Wahl, als mich neben ein total überfülltes Wartehäuschen zustellen. Ohne jeglichen Schutz wartete ich auf meinen Linienbus, der sich an diesen Morgen meines Erachtens nach viel Zeit ließ, meine Stimmung mehr um mehr zum kochen brachte, und ich echt mühe hatte, beim späteren Betreten des Busses den Fahrer mit all meinem Frust nicht an den Hals zu springen. Der zu meinem Entsetzen noch einen total überhöhten Fahrpreis wollte, wusste ich doch nur zu gut, dass es bis zu meiner Schule nur ein paar Meter waren.

Ich saß auf der Außenseite einer Sitzbank, die sich im vorderen Teil des Busses befand. Neben mir lag meine Schultasche so, dass sich niemand neben mich setzen konnte.

Während der Fahrt beobachtete ich die an mir vorbeirauschende Landschaft, die umschlingt von all dem schlechten Wetter, wirklich keinen Aufschwung andeutete, was mich allerdings eher weniger interessiert hatte. Ich saß im Trockenen – in einem fahrenden Bus, der seinem Ziel immer näher kam, und ich nur noch an der für mich passenden Haltestelle aussteigen musste, die sich zu meinen Glück direkt vor meiner Schule befand.

Vor der Schule herrschte auf dem großen Vorplatz ein reges Treiben, trotz des schlechten Wetters, was mich ein wenig überrascht hatte. Hatte ich doch eher damit gerechnet, dass die meisten Schüler in ihren Klassen waren. Aber heute, da war einer der letzten Schultage meiner 13jährigen Leidenszeit. Und da, da herrschte allgemein in der Schule ein lockeres Klima. Obwohl ich eher damit gerechnet hatte, dass mach einer die Situation ausnutzte, um sich die eine oder andere Woche krank zu schreiben.

Vorbeigeschmuggelt durch die dicht versammelten Gruppen, ging ich in das leergefegte Treppenhaus unseres Schulgebäudes, wo meine beste Freundin Lisa auf mich wartete. Sie hatte so wenig Lust gehabt wie ich, draußen auf den Schlag des Schulgongs zu warten. Begeistert nahm sie mich in Empfang, gehörte ich doch zu den wenigen Menschen, die sie gut kannte. Hatte sie doch im starken Gegensatz zu mir eher einen kleinen Freundeskreis. Da konnte sie noch froh sein, dass sie einen älteren Bruder hatte, der ihr in all ihren Krisenzeiten bei Seite stand. Für mich war Lisa eher eine Freundin, wie jede andere auch. Ich hatte überhaupt in meinen gesamten Freundeskreis nicht die Person, da wo ich sagen könnte, dass wäre mein engster Vertrauter. Eine Vorsicht, die eher mit dem Vermögen meiner Eltern zutun hatte, die nicht gerade zu den ärmsten dieser Stadt gehörten.

Lisa machte nicht gerade einen sehr begeisterten Eindruck auf mich, da konnte ich sie noch so sehr in den Arm nehmen wie ich wollte, sie bekam nur schwer ein Lachen über ihre Lippen.

„Was ist los mit dir?“ erkundigte ich mich besorgt bei ihr. Sah sie doch so aus, als wolle sie mit mir über ihre Probleme sprechen. So wie sie es immer tat. Ich war in diesem Sinne schon etwas wie eine Schwester für sie. Eine Tatsache, die mich am Anfang schon ein wenig abgeschreckt hatte, machte sie mir doch manchmal solche Andeutungen, als währe ich der entscheidende Halt im ihrem Leben. Was mir schon ein wenig Angst machte. Eine Mentalität, die ihr bestimmt nicht gerade viele Freunde beschert hatte, daher war ich mir umso mehr bewusst, dass ich Lisa wirklich nicht alleine lassen konnte – wirklich nicht wollte.

Lisa war die Person, die ich in mein Herz geschlossen hatte, da konnte einer noch soviel über sie erzählen, ich wollte sie aus meinen Kreis wirklich nicht mehr streichen, was mir bei manch einem, der nur auf mein Luxusleben aus war, schon viel leichter fiel. Seid der Scheidung ihrer Eltern lebte Lisa bei ihrer Mutter. Und ihr Bruder, an dem sie so hing, er lebte bei ihrem Vater in Köln. Eine Situation die für einen so gefühlsbetonten Menschen, wie es Lisa war, eher der absolute Alptraum war.

Gerade wollte ich mich ein wenig mit Lisa zurückziehen, da erklang im nächsten Moment der Schulgong, der uns keine andere Möglichkeit ließ, als sich in unseren Klassensaal zu begeben, in dem wir beide uns gemeinsam eine ruhig gelegene Schulbank in unmittelbarer Nähe des Fenster ausgesucht hatten. Wenn da nicht Rebecca gewesen wäre, die mir mit ihrem Antikapitalismus gewaltig auf die Nerven ging – was mir in diesem Sinne nichts ausgemacht hätte, wenn sie nicht Lisa zur Zielscheibe gemacht hätte, die in der Klasse meine engste Vertraute war. Spielte doch da ein gewisser Neid auf meine Person eine große Rolle?

Und so dauerte es auch an diesem Morgen mal wieder nicht lange, bis Rebecca mit ihrer gesamten Bandbreite an Sprüchen wieder gegen eine Lisa schlug, der es schwer viel sich dagegenzusetzen.

„Kannst du nicht mal die Klappe halten!“ schrie ich Rebecca entgegen, die wie ein kleines Kind immer wieder an unseren Tisch vorbeilief. In einer Tonart, die man sonst wohl bei ihr noch nie angeschlagen hatte. Was mir im nächsten Moment echt peinlich war, wie ein Hirnkranker durch den Klassensaal zu schreien. Im zentralen Mittelpunkt meiner Mitschüler zu stehen – die aufgeschreckt von meiner Reaktion, mich so anstarrten, als hätte ich gerade jemand umgebracht!

Diese ganze Situation hätte ich mir wirklich lieber erspart, Lisa nahm dies eher mit Dankbarkeit zur Kenntnis. Sie war froh darüber, dass ich ihr geholfen hatte. Sie wusste was sie an mir hatte. Rebecca hingegen fixierte mich mit ihrem blick eher so starr, als wolle sie nicht so recht begreifen, was sich gerade vor ihr abgespielt hatte. Denn so hatte sie mich noch nie erlebt.

Stille herrschte im Raum. Kein Mensch sagt nur ein Wort, was mir schon ein wenig Angst machte – in einem Raum zu sitzen, in einer Masse von Menschen, aus der kein Mucks ertönte. Was irgendwie schon komisch war, aber was sollte ich noch anderes machen als liebevoll zurückgrinsen, und mich mit all meinem Scharmgefühl hinter meinen aufgeschlagen Schulbüchern zu verstecken. Lisa hingegen, sie war anders als die Anderen. Sie strahlte mich so an, als hätte ich ihr die Last von der Schulter gerissen. Aber was hatte ich schon großartiges getan? Gut, ich hatte mich mit Rebecca angelegt – dieses Kommunistenweib, die mit ihren zahlreichen Sprüchen auf ihrer Ledertasche schnell jedem klar machte, welche politische Meinung sie vertrat. Was mich eher weniger interessiert hatte. Kommunismus hin oder her, sollte sie doch machen was sie wollte, so lange sie mir nicht zu nahe kam.

Rebecca, die sich schnell wieder gefangen hatte, sah man deutlich an, dass sie mir am liebsten an die Gurgel gesprungen wäre, wenn nicht im nächsten Moment unsere Klassenlehrerin den Raum betreten hätte. Was mir sehr entgegen kam, wollte ich doch nur meine Ruhe vor dem allem.

Während der Schulstunde, unterhielt ich mich lieber mit Lisa, als dem sticklangweiligen Unterricht zu folgen, der sowieso in den letzen Schultagen nicht gerade sehr spannend war. Warum sollte ich auch da zuhören, hatte ich doch bereits meine Noten sicher in der Tasche - meinen Ausbildungsplatz schon gefunden. Was mir nicht gerade schwer gefallen war, fragte ich doch einfach bei meiner Mutter nach, die in der Finanzwelt solche Verbindungen hatte, dass ich mir um mich keine Sorgen machen musste. Lisa, sie war immer noch auf der Suche, nach dem für sie passendem Beruf.

Sie hatte leider nicht diese Möglichkeiten, wie ich sie hatte. Ein zunehmender Druck, der sich in Kombination mit der gerade vollstreckten Scheidung ihrer Eltern, immer mehr auf ihren Magen schlug.

Plötzlich wurde ich von meiner Klassenlehrerin aus dem gerade anfänglichen Gespräch mit Lisa gerissen. Sie rief mich total unerwartet vorn an die Tafel, sollte ich doch meinen Klassenkameraden irgendeine Aufgabe, die bestimmt mal wieder niemand in dieser Mathematikstunde sonst hätte lösen können, vorrechnen. Waren doch meine Mathematikkenntnisse bereits über die Schulmauern hinweg bekannt, was mir unter anderem auch meinen Ausbildungsplatz eingebracht hatte. Nicht wie es Rebecca immer wieder behauptete, ich wäre ausschließlich mit Hilfe meiner Mutter an diese Stelle gekommen, womit sie letztlich auch nicht ganz Unrecht hatte, aber was ging das schon eine Rebecca an.

Ich fand es schade, dass ich vor an die Tafel musste, wollte doch Lisa mir gerade ihr Herz ausschütten – mir ihre Probleme anvertrauen. Und ich, ich musste vor an die blöde Tafel, wo wieder mal eine dieser Aufgaben stand, die für mich wirklich ein Kinderspiel war. Und ich echt keine große Mühe aufbringen musste, sie zu lösen, und mich dann auch wieder auf meinen Platz setzen konnte. Und dort, dort war ich wieder bei Lisa, bei der es mir schwer viel, die für sie passenden Worte zu finden, war sie doch der Mensch, bei der man sich jedes Wort gut überlegen musste.

War sie doch von ihrer Art etwas zu schüchtern, als, dass sie einfach so daher redete. Doch kaum war die große Pause angesagt, begab ich mich zusammen mit ihr hinaus auf den Schulhof, wo trotz des noch immer andauernden Regens, es Lisa nicht schwer fiel, mit mir in einer der abgeschotteten Ecke des Schulgeländes das mitzuteilen, was ihr im Endeffekt so auf dem Herzen lag.

Nach der Schule konnte ich es kaum erwarten wieder zu hause auf meinem Zimmer zu sein, wo ich erstmal meine Musikanlage aufdrehen musste, was bei dem andauernden schlechten Wetter wirklich besser gewesen war, als dem ständigen Regenprasseln, gegen meine Fensterscheibe, zuhören zu müssen, als auf längere Sicht, in diesem schweigenden Raum, ohne meine Musik, hätte es mir sicherlich auch noch den letzten Nerv geraubt.

Im Rausch der Musik suchte ich aus meinen Kleiderschrank, die für mich passenden Kleider, die für das Wetter geeigneten waren und ging rasch zu meinem eigenen Badezimmer, das extra meine Eltern für mich ins Dachgeschoss eingebaut hatten. Was wirklich besser war als halbnackt, nur mit einem Badetuch bewaffnet, durch die Wohnung zu laufen. Was für eine Frau wirklich nicht gerade sehr angenehm war.

Zweimal drehte ich den Zimmerschlüssel um und fing auch schon an mich auszuziehen. Wollte ich mich doch von meiner eng anliegenden Kleidung, die durch das angesammelte Regenwasser wie eine zweite Haut an mir klebte, befreien.

Ich genoss sehr die warme Dusche – das klare Wasser, welches meinen nackten Körper nach einem harten Schultag, wie dieser es war, gerade zu rein spülte und entspannte. Doch da klopfte es überraschend an meiner Badezimmertüre, auf was ich im ersten Moment nicht gefasst war.

„Was ist los?“ rief ich total verwirrt aus der Duschkabine heraus, wollte ich es doch nicht wahrhaben, dass man mir meine Ruhe nicht gönnte.

„Ich bin es, Lisa!“ Melde sich nach einem kurzen Schreckmoment Lisas schüchterne Art zu Worte.

Überrascht und etwas besorgt sprang ich gleich aus der Dusche heraus, wickelte mich ins nächst greifbare Badetuch ein. Öffnete dann die Zimmertür hinter der solch eine Lisa stand, der ich deutlich die pure Verzweifelung aus ihrem Gesicht ablesen konnte.

Umsorgt nahm ich Lisa in meine Arme, drückte sie ganz nahe an mich, wusste ich doch nur zu gut, was sich bei ihr zu hause wieder abgespielt hatte.

Mit nassen Haaren, fast nackt denn nur bekleidet mit meinem Badetuch, was mir in diesen Moment völlig egal war, nahm ich Lisa gleich mit auf mein Zimmer. War ihre Person mir doch so wichtig, dass ich mir darüber keine Gedanken machen wollte. Wir nahmen platz auf meinen Bett, wo ich Lisa fest in meinen Arm nahm, und ihr so Trost spendete, so, wie ich es schon oft tat, was meine Eltern immer für richtig hielten. Für sie war doch Lisa etwas wie ihr eigenes Kind. Kannten sie sie doch schon seid frühster Jugend. War ich doch mit ihr zusammen im Kindergarten gewesen, bin mit ihr zusammen aufgewachsen. Bin mit ihr zusammen, bewaffnet mit meiner großen Schultüte, zum ersten Schultag marschiert. Damals, als ihre Eltern noch zusammen waren.

Aber war ihr Vater nicht durch den beruflichen Umzug seines Arbeitgebers gezwungen worden, diesen nach Köln zu begleiteten? Von da an ging seine Ehe endgültig den Bach herunter. Lisas Bruder seinem Vater schnell nach Köln folgende, wollte er doch im Saarland nicht länger bleiben. Dafür war es ihm einfach zu langweilig hier, was ich gut nachvollziehen konnte. Aber hätte er nicht auf seine kleine Schwester Rücksicht nehmen können? Er wusste doch ganz genau, dass sie an ihm hang!

„Was ist passiert?“ Fragte ich vorsichtig, mit zurückhaltender Stimme eine Lisa, die sich so allmählich wieder gefangen hatte. Und im nächsten Moment mir eine Geschichte erzählte, die ich wirklich nicht wahr haben wollte.

Nach allem Erzählten konnte ich es wirklich nicht glauben, dass Lisas Mutter, ihre „Kleine“, wie sie sie immer nannte, sie nach Köln, zu ihrem Bruder schicken wollte. Fern ab ihrer Mutter, von der sich Lisa nicht trennen wollte. Die, aber nun wieder nach langer Arbeitslosigkeit, solch einen stressigen Beruf gefunden hatte, dass sie vor ihrer Seite meinte, dass Lisa in der Obhut ihres Bruders wirklich besser dran war. Und von ihrem Vater, von dem wollte Lisa wirklich nichts mehr wissen. Und warum? Das hatte Lisa mir gegenüber nie erwähnt. Konnte ich doch daher irgendwie diese hasserfüllte Angst vor ihrem Vaters nicht so recht verstehen.

Gerade hatte ich mir im Beisein von Lisa einen Slip und ein weißes T-Shirt angezogen, da lagen wir zusammen auf meinen Bett und erzählten uns im Genuss der Musik irgendwelche peinlichen Geschichten aus unserer gemeinsamen Schulzeit, was Lisas rasch wieder auf fröhlichere Gedanken brachte, sie spürbar zum lachen brachte, was uns beiden sehr gut tat.

Lisa blieb bis in den späten Abend bei mir, so wie sie es immer tat, wenn sie bei mir rat suchte.

Lisa, sie war eher die Person, die sich sehr an mich gebunden hatte, was mir manchmal sehr unangenehm war. Immer unter dem Druck ihrer Probleme zu stehen. Aber was sollte ich schon machen? Mir hatte es im Endeffekt auf längere Sicht nie geschadet, sodass ich niemals das Ziel hatte, Lisa aus meinen Freundeskreis zustoßen – ihr da lieber die Hand zuhalten. Sie in meinen Bett schlafen zulassen. So, wie sie es in dieser Nacht tat. So wie sie es immer tat, wenn sie nicht zu hause übernachten wollte. Was mich nicht nervte, sondern es war für mich eher schwierig zu verstehen, wie ich damit umgehen sollte. Für einen Menschen jederzeit dazu sein, immer erreichbar. Persönlich oder einfach per Telefon. Aber das sollte ich schon machen; ich konnte doch nicht einfach so davonrennen.

Lisa klammerte sich so nahe an mich, als hätte sie Angst gehabt, ich könnte jeder Zeit verschwinden - hatte ich doch mein eigenes, mit Sorgen, beschlagenes Leben, mit all seinen Tücken, und vor deren Auswirkungen ich mich nur in meinem, so wichtigem, eigenem Zimmer zurückziehen konnte. Hatte ich doch noch zu sehr den Streit meiner Eltern im Gedächtnis, dass es mir da sehr schwer viel, mich noch auf Lisa zu konzentrieren.

Meine Eltern, die sich zum ersten Mal in meinem Augenschein, im Wohnzimmer, einen so heftigen Schlagabtausch abgeliefert hatten, dass es mir schwer viel, dies alles zu verarbeiten. War doch die Ehe meiner Eltern bis dahin wirklich ein Vorbild gewesen, was sich nicht nur in unserer Nachbarschaft herumgesprochen hatte, sondern auch weit über die Grenze meiner Schule hinaus. Was am letzten Abend, meine Eltern eher weniger interessiert hatte, wenn man der Lautstärke ihres Gebrülls folgen sollte. Und das alles aus mir nicht bekannten Gründen.

Schnell schlief Lisa ein. Was ich mit einer gewissen Erleichterung aufnahm, stand ich doch unter einem enormen Druck, wegen meiner Eltern, deren Rauferei mir nicht aus dem Kopf gehen wollte.

Am nächsten Morgen, ich war gerade aufgewacht, da sah ich eine noch immer tief schlafende Lisa neben mir in meinen Arm liegen, was mir eine gewisse Stärke gab. Doch plötzlich hörte ich aus der Stille des Erdgeschosses ein leicht, ganz schwach wahrnehmbares Heulen, dem ich sogleich vorsichtig folgte, ohne dabei Lisa aus ihrem Schlaf zureisen.

Versteinert, mit weiß angelaufener Mimik stand ich wenig später in der Küche und sah meine Mutter an, die meiner Meinung nach so aussah, als hätte sie die Nacht durchgemacht.

Ihre Ellenbogen auf den Tisch abgestützt, hielt sie ihr verweintes Gesicht so geschützt, dass ich erst in ihre verweinten Augen sehen konnte, als sie durch mein überraschendes Erscheinen ihren Blick erhob.

So hatte ich meine Mutter noch nie erlebt. So stark, wie sie eigentlich mal war. Hatte es doch meine Mutter im laufe ihrer Berufsjahre in eine hoch angesehenen Position geschafft. Angefangen in einer kleinen Dorffiliale arbeitete sie sich in die gehobenen Etagen der Frankfurter Bankenwelt hoch. Was für mein Taschengeld wirklich gut war, nicht aber grad für unsere Beziehung zueinander. Pendelte doch meine Mutter während der Woche meist zwischen Frankfurt und Saarbrücken hin und her, man daher also nie wirklich wusste, wann sie zuhause war. Aber allem Anschein nach hätte sie zu diesem Zeitpunkt lieber keinen Urlaub nehmen sollen, in dem sie eigentlich mit meinen Vater wegfahren wollte. Hatten sie doch beide durch die letzten Tage einsehen müssen, dass sie sich stark auseinander gelebt hatten, und angesichts vergangener Nacht war wohl weniger zu retten, als uns allen miteinander lieb gewesen wäre.

Meine Mutter verstand die Welt nicht mehr. Und ich, ich stand vor ihr und wusste nicht so recht, wie ich auf sie zugehen sollte. So leid es mir auch tat. So unglaubwürdig sich ihre Geschichte auch anhörte, ich wollte das wirklich nicht wahrhaben. Aber was konnte ich da noch machen? Hatte ich eine andere Wahl, als der Tatsache ins Auge zu schauen? Eine Tochter, die es so zuvor noch nie erlebt hatte – aufgewachsen in einem perfekten Familienhaus, das sich von nun an in einer Situation befand, die ich eigentlich nur aus Lisas Erzählungen kannte. Da konnte ich von Glück sprechen, das Lisa die ganze Zeit während ich mich mit meiner Mutter unterhielt, weiterschlief.

Irgendwie konnte ich es nicht glauben, dass mein Vater für die nächste Zeit ein Zimmer im Hotel vorzog, wo er erstmal für sich alleine sein wollte.

„Warum ist Vater weg?“ Fragte ich bei meiner Mutter nach. Ohne eine Antwort oder Erklärung, weil sie es wohl selbst noch nicht realisiert hatte, musste ich zurück auf mein Zimmer gehen, indem noch immer Lisa schlief. Zu einem Zeitpunkt, wo wir Beide eigentlich schon längst in der Schule sein mussten. Was mir zu dieser Stunde so völlig egal war, wie es einem gleichgültiger nicht hätte sein können. Legte ich mich doch da lieber zurück zu Lisa, die ich von da an besser verstand.

Am Mittag war es schon für mich ein beklemmendes Gefühl, neben einer Freundin aufzuwachen, derer familiärer Zustand mit meinem nun gleichzusetzen war. In dessen Lage ich mich von nun an, schnell hineinversetzen konnte.

Wie gerne hätte ich Lisa alles erzählt. Wie gerne hätte ich bei ihr Trost gesucht – die in meinem Bett liegend, mich nun so anstrahlte, dass es für mich schon unheimlich war. Für eine Person, die zuvor das Wort „Familienkrise“ noch nicht einmal vom Ansatz kannte, und es nun mit einem Schlag völlig unvorbereitet ins Gesicht bekam. Gott, womit hatte ich das verdient?

Hatte ich mir doch von meiner Seite eigentlich nie einen Fehler eingestehen müssen. Nie zwischen den Fronten meiner Eltern gestanden, die mich in eine neue, unbekannte Situation gebracht hatten.

Wie gerne hätte ich am liebsten Lisa umklammert und laut angefangen zu heulen. Was ich laut meinem Verstand nach zu urteilen niemals durfte – Lisa niemals verstanden hätte, war sie es doch schließlich die Person, der man Trost spenden musste. War sie doch schließlich die Person, die bei mir Halt fand. Bei einer Person, die gefestigt durch das Leben ging. Und was war in Wirklichkeit? Ich war eher der Mensch, der nicht mehr weiter wusste. Aber dies, niemals zeigte durfte, was wirklich sehr schwer für mich war! Was Lisa bestimmt nicht verstanden hätte – wollte ich ihr doch wirklich keine Angst machen.

Gerade war ich aufgestanden, saßen wir beide gemeinsam in der Küche, wo mir im Gegensatz zu Lisa wirklich nicht nach essen zumute war. Ging es doch an diesem Tage, Lisa wieder ziemlich gut. Vergessen waren Ärger, Ängste und das Bedürfnis nach Schutz, der sie zu mir trieb. Zusammengebrochen war nun meine Welt, die mich nicht dazu bringen konnte, etwas zu essen. Lisa störte dies eher weniger. Wie denn auch? Sie kannte mich doch als die Person, die mit einem strahlenden Selbstbewusstsein durchs Leben ging.

Kaum hatten wir den Küchentisch abgeräumt, begleitete ich Lisa auf ihre Bitte hin, zu ihr nach hause. Machte mich dann auch gleich, ohne längeren Aufenthalt bei ihr, wieder auf den Rückweg. Auf dem - in der Innenstadt – zu meinem großen Entsetzen, ich auf eine groß angesammelte Masse von Menschen traf, die sich zu einer irrwitzigen Anti-Kapitalismus-Demo zusammengefunden hatte, was mich eher weniger interessiert hatte. Waren doch dies meines Erachtens nach, alles nur Neider! Wer glaubte schon ehrlich daran, dass es Menschen gab, die aus ihren sehr guten Lebensverhältnissen aussteigen wollten. Der musste schon mehr als dumm sein!

Zu meiner großen Verwunderung, sah ich natürlich Rebecca. Hätte mich auch gewundert, ging sie doch auf dieses Treiben voll ab. Verwundert blickte sie mich an, als sie mich bemerkte. Hatte sie wohl damit gerechnet, mich in all den Jahren mit ihrem Geschwätz überredet zu haben, dafür wollte ich eigentlich nur auf dem kürzesten Weg nach Hause. Was ich in der Masse von Menschen endgültig abschreiben konnte. Dauerte es doch ziemlich lange, bis ich völlig fertig, aber sichtlich erleichtert zu hause durch die Haustüre taumelte und in ein Haus eintrat, indem trügerische Menschenleere herrschte. Ein Zustand, an den ich mich erst im Laufe der letzten Jahre gewöhnt hatte – das meine Eltern ihren Beruf so verfolgten, dass jedoch für mich nicht immer die wichtigste Zeit übrig blieb. Hatten zu diesem Zweck meine Eltern eine Haushaltskraft eingestellt, die ihren Dienst immer so antrat, dass ich die Abendstunde nie alleine war. Doch hatte ich meine Jacke ausgezogen, da meldete sie sich telefonisch krank, was mir eher wie gerufen kam.

Schnell stellte ich mich unter die Dusche, die ich sehr lange genoss. Schlüpfte dann in meine Klamotten hinein und machte es mir zusammen mit einer Rotweinflasche in unserem Wohnzimmer gemütlich. Schaute fern, und sah mir aus lauter Langeweile eine Reportage von einer Demo an, durch die ich mich noch am Mittag durchgeschlagen hatte, was mich irgendwie interessiert hatte. Denn, so wohl oder übel – mal abgesehen, von meinem gesellschaftlichen Standpunkt, konnte ich diese Menschen, die sich so um ihre Sache bemühten, verstehen. Eine Lage, die irgendwie mehr oder weniger kompliziert erschien, und ich geradewegs mit einem Schluck Rotwein herunterzuspülen versuchte.

Am nächsten Morgen, in der Schule, nahm ich eine nicht überhörbare Rebecca zwangsweise wahr, die wirklich jedem mitteilte, dass der gestrige Erfolg ihrer Demo über das Fernsehen in allen Teilen dieses Landes ausgestrahlt wurde. Da aber der allerletzte Schultag angebrochen war, konnte ich dieses Geredete mit verhältnismäßig wenig Schmerz über mich ziehen lassen. Und für Lisa, ihr sah ich deutlich an, dass sie nicht so recht wusste, ob sie sich freuen oder heulen sollte. Sie wollte nicht nach Köln. Sie wollte mich nicht als ihre beste Freundin verlieren. Aber was konnte ich schon dagegen tun? Denn mehr als Trost konnte ich ihr zu dieser Stunde wirklich nicht geben. So gerne ich es auch getan hätte.

Später, als ich alleine zu hause wieder auf meinem Zimmer saß, machten sich mit der Zeit mehr um mehr bei mir die Gedanken breit. Das schweigende Telefon erschien mir sonderbar, war es bis jetzt doch immer so, dass sich Lisa unmittelbar nach der Schule mindesten einmal am späten Nachmittag bei mir anrief.

Gerade an diesem Tag, wartete ich sehnlichste auf diesen Anruf, war doch Lisa in der Schule nicht mehr aus dem Heulen herausgekommen.

Am nächsten Morgen war es für mich ein gewöhnungsbedürftigstes Gefühl, konnte ich doch nach langem Schulalltag wieder mal ausschlafen, und meinen ersten Ferientag völlig genießen. Gemütlich durch die Altstadt zu gehen und mich bei einem schaumigen Milchcafé, im nächst besten Café, entspannt zurückzulehnen und dabei einfach seine Seele treiben zulassen.

Kaum hatte ich meinem zweiten Milchcafé bestellt, sah ich überraschend in der Ferne eine ziemlich mitgenommene Lisa an mir vorbeigehen. Die so schnell auf ihren Füßen war, dass ich nicht die geringste Chance hatte, sie zu mir herüber zu rufen oder ihr noch hinterher zu laufen, was mit einer offenen Rechnung wirklich undenkbar erschien.

Nachdem ich noch schnell meine Rechnung bezahlt hatte, war es leider schon zu spät, Lisa war schon über alle Berge. So folgte ich ihren Spuren zu ihr nach hause, wo mir Lisas Mutter leider einen negative Auskunft geben musste, hatte sie doch überhaupt keine Ahnung wo ihre Tochter sein konnte, denn zu hause war sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetroffen.

Auf meinem Nachhauseweg lief mir Rebecca über den Weg, die im Kreise ihrer Freunde einen sehr selbstbewussten Eindruck, von ihrer Parkbank aus, bei mir hinterließ. Da konnten ihre Freunde mich noch so sehr anstarren, ich wollte an diesem Tage nicht ihr Feindbild sein, sondern einfach nur nach hause, hatte ich bis dahin doch wirklich genug erlebt.

Vor der heimischen Haustüre stehend, öffnete mir schon meine Mutter die Türe. Sie schaute mich verwundert an, konnte jedoch meine auf schlechte Laune hinweisende Mimik nicht verstehen. War ihr doch klar, dass ich heute eigentlich meinen ersten Ferientag genoss. Also gab es, ihrem Glauben nach, bei mir keinen Grund den Kopf hängen zu lassen. Aber kannte meine Mutter die Problematik von Lisa? Wie gerne hätte ich es ihr erzählt, was mir so am Herzen hing. Aber hätte sie Verständnis für meinen Freundeskreis, den sie wegen ihrer vielen Arbeit nur vom Hörensagen kannte?

Schnell zog ich mich in mein Zimmer zurück, wollte ich doch nur meine Ruhe für mich genießen, als da plötzlich mein Telefon klingelte.

„Können wir machen, Mona!“ Eine gute Klassenkameradin, mit der ich schon lange wieder mal etwas unternehmen wollte. Hatte in den letzten Monaten uns der Prüfungsstress so zu schaffen gemacht, dass für jegliche Freizeitaktivitäten eher weniger Zeit übrig blieb.

Den Hörer abgedrückt, machte ich mich auch gleich schnell fertig. Und gerade hatte ich meinen Rock angezogen, klingelte Mona schon an der Haustüre, wo ich sie nicht lange warten lassen wollten.

Hängte mir noch schnell meine Tasche um und verschwand dann auch schon durch die Haustüre, wo mich Mona mit einer herzlichen Umarmung begrüßte, und schon stiegen rasch ins Monas Auto ein. Ein 77iger, aufgebauter Käfer, den sie sich selbst zu ihrem 18sten Geburtstag gescheckt hatte, für den sie lange zeit in einem Lokal kellnerte.

Zu unserem Glück war das gestrige Regenwetter nicht mehr zusehen, so dass wir ohne jegliche Zweifel ans Saarufer fahren konnten, wo ein kleiner Kreis meiner Klassenkameraden bereits den Grill aufgebaut hatten, was ich mit gemischten Gefühl aufnahm, hatte ich doch mit Rebecca samt ihrem Anhang am wenigsten gerechnet.

Auf der Wiese sitzend, unterhielten wir uns untereinander, jeder mit einem kühlen Bier bewaffnend, recht gemütlich, während der reicht bestückte Grill seinen Dienst tätigte, über die letzten Jahren unseren gemeinsamen Schulzeit.

Am Anfang wusste ich nicht so recht, wie ich auf Rebecca eingehen sollte, baute sich allmählich aufgebaute Vorsicht, ihrer Person gegenüber, zunehmend ab. Saß doch in ihrem Kreis eine Person, der ich mich nach einem kleinen Kampf der inneren Überwindung, vorstellte. Jürgen, war sein Name. Er hatte einen sehr liebevollen Blick. Und je länger wir uns anschauten desto mehr zog er mich in seinen Bann.

Es war ein schöner Tag, an dem jeder seinen Spaß hatte, war es doch wahrscheinlich die letzte Gelegenheit alle Klassenkameraden auf einen Schlag zu sehen. Da war es erstaunlich, dass Rebecca bei uns war. Es hätte mich nicht gewundert, wenn sie bei der in Planung befindlichen kubanischen Revolution, als Mitinitiator dabei gewesen wäre.

Als die Dunkelheit immer näher kam, machten sich die ersten von uns bereits auf den Nachhauseweg. Mona wäre sicherlich mir zu liebe noch geblieben, ihr war meine angeregte Unterhaltung mit Jürgen nicht entgangen, aber nachdem sie fast eingeschlafen wäre, gab ich Jürgen lieber meine Telefonnummer, als Mona weiterhin zuzuschauen, die sichtlich mit der Müdigkeit kämpfte. Was dieser mit Verständnis gut nachvollziehen konnte, das Mona nur noch nach hause wollte.

Am nächsten Morgen saß ich mit gespannter Erwartung in der Küche, hatte mir doch Jürgens Art eine schlaflose Nacht bereitet, was ich mir nicht so recht eingestehen wollte.

Das letzte Brötchen geschmiert, klingelte endlich das Telefon, an das ich sofort wie ein Verrückter sprang.

„Lisa, was ist los mit dir?“ erwiderte ich enttäuscht einer völlig niedergeschlagenen Lisa, mit der ich jetzt am wenigsten gerechnet hatte.

„Ich muss mit dir reden!“ machte mir Lisa unmissverständlich in einer Tonart klar, die mir schon Angst machte.

„Sag was los ist?“

„Nicht am Telefon – wir müssen uns treffen!“ sprach sie und fuhr nach einer kleinen Bedenkpause fort: „Wir treffen uns in einer Stunde im Burger King am Bahnhof!“ Ich stimmte zu. Kaum hatte ich dies getan, legte Lisa abrupt den Hörer auf.

Ich musste mich beeilen, denn die Zeit war wirklich knapp bemessen. So zog ich gleich meine Schuhe an, ohne einen weiteren Gedanken an Jürgen zu verlieren.

„Erzähl mir jetzt endlich was los ist?“ Fragte ich Lisa gleich, nachdem wir uns in eine der stillen Ecken des Fastfood- Restaurant zurückgezogen hatten. Und schon erzählte mir Lisa, dass sie seit gestern tatsächlich in Köln wohnte.

Sie sei nur für diesen einen Tag zurückgekommen um mit mir zu sprechen, was für mich eine Tendenz zu Mrs. 007zeigte.

„Ich wollte mich eigentlich nur von dir verabschieden!“ Eine Bemerkung, die mir meinen Burger, im wahrsten Sinn des Wortes, im Halse stecken ließ.

„Das ist doch nicht dein ernst?“ gab ich verwundert zurück. Lisa, sie nickte nur mit dem Kopf ohne mir dabei ins Gesicht zusehen.

„Komm Lisa, was ist wirklich los?“ Fragte ich verzweifelt nach, hatte ich doch das Gefühl es steckte etwas ganz anderes hinter diesem fadenscheinigen Geredete.

War ich doch eigentlich gekommen um Lisa die Last von der Schulter zunehmen und wirklich nicht um eine endgültige Verabschiedung zu vollziehen.

„Was soll los sein?“ erwiderte Lisa auf eine Art, bei der ich echt die Zähne zusammenbeizen musste.

„Hat es etwas mit deinem Vater zutun?“ hakte ich nach einer langen Bedenkpause nach. Auf was Lisa mir keine Antwort gab. Sie schaute mich nur schweigend an, was mir endgültig den letzten Nerv raubte.

Wutendbrand – eher verzweifelt verließ ich meinen Platz, Lisa dagegen aß tatsächlich geradezu unbeeindruckt einfach ihren Burger weiter.

Den Tränen nahe ging ich nach Hause. Sperrte mich in meinem Zimmer ein, konnte ich doch nicht so recht verstehen, was sich gerade abgespielt hatte. Doch plötzlich klingelte wieder das Telefon, an dem sich, lang ersehnt, Jürgen sich bei mir meldete.

Er merkte sehr schnell, dass etwas nicht mit stimmte und hatte es zügig geschafft mich mit seiner Art wieder aufzubauen, was wirklich sehr lieb von ihm war.

Etwas, was mich gleich so an diesem Mann fasziniert hatte – wollte ich doch eigentlich heute keinem Menschen mehr in die Augen schauen, aber ich konnte Jürgens Angebot, bei mir vorbei zu kommen, wirklich nicht absagen.

Ich war froh, als es endlich acht Uhr, und die Zeit des Wartes endlich vorbei war, und Jürgen mich Zuhause abholte. Denn noch länger hätte ich es bei meiner Mutter nicht mehr ausgehalten, die seit der Trennung von meinen Vater all ihren Frust in unserem Wohnzimmer vor dem Fernseher zu verdrängen versuchte.

So gerne meine Mutter meine Anwesenheit genoss, war sie froh darüber, dass ich jemand kennen gelernt hatte – war ich ihrer Meinung nach, doch wirklich schon zu lange solo gewesen. Und außerdem hatte sie immer einen Menge Bücher im Wohnzimmer, die in einem groß angelegten Bücherregal standen, denen sich meine Mutter zufolge gleich widmen wollte, gab ihr doch das Fernsehen nicht die Ablenkung, die sie suchte.

Ich lief derweil neben einen Jürgen her – neben ihm fühlte ich mich in dieser Situation am wohlsten. War er doch mit seinem ein Meter neunzig mein Held, der mir alles Böse vom Leib hielt. Seine blaue Augen die im Glanz seiner kurz geschnittenen schwarzen Haare sehr zu Geltung kamen, was mich sprichwörtlich in den Boden zerfließen ließ.

Wir liefen gemeinsam durch die Saarbrücker Altstadt, wo wir nach einer Kneipe mit gemütlichem Ambiente suchten. So sehr wir sie auch suchten, gingen wir wenig später an das für uns nicht so weit entfernte Saarufer, das direkt durch das Herz der City lief, wo wir uns auf eine ruhig abgelegene Parkbank setzten, von der man einen wunderschönen Blick auf den Vollmond hatte, der als zeitloses Bild auf der Wasseroberfläche widergespiegelte. Eine Stimmung, die auch von der Stadtautobahn, die auf der gegenüberliegenden Uferseite nicht zerstört wurde.

Dicht an dicht saßen wir da, die Blicke voneinander weggedreht, starrten wir beide auf die an uns vorbeilaufende Saar. Trauten uns nicht uns gegenseitig anzuschauen. So sehr in mir auch das Herz schlug, wollte ich mich nicht von meinen Gefühlen verleiten lassen und hörte da lieber den Worten Jürgens zu, der in diesem Moment selbst nicht so recht wusste, wie er reagieren sollte.

So harmonisch, wie wir Beide da saßen – es war schon so, als würden wir uns seit Jahren kennen – war da auf der anderen Seite die Angst, wir würden den anderen zu etwas verleiten, was eigentlich niemand wollte. So zogen wir es lieber vor uns „nur“ zu unterhalten.

„Papa, was machst du denn hier?“ Rief ich verschreckt auf, als ich ihm am nächsten Mittag die Haustüre öffnete.

„Mit dir reden!“ machte er mir auf seine leichte, etwas verkrampfte Art, klar. Wusste er doch nicht so recht, wie er sich mir gegenüber verhalten sollte.

„Mutter ist nicht zuhause!“ versuchte ich mich hilflos bei ihm zu endschuldigen.

„Das weis ich!“ stand doch ihr Auto nicht in der Einfahrt.

So bat ich meinen Vater hinein und wir gingen gemeinsam ins Wohnzimmer, wo wir eine zeitlang uns nur schweigend gegenübersaßen und niemand so recht wusste, wie er die Unterhaltung angehen sollte. Hatten wir beide uns seit drei Tagen nicht mehr gesehen. War ich doch fest in dem Glauben, er habe mit meiner Mutter sein Glück fürs Leben gefunden – hatte er nun eine neue kennen gelernt. Was für ein Mistkerl, tragischerweise – aber trotzdem natürlich noch mein Vater war, dem ich so etwas wirklich nicht zugetraut hätte.

Verzweifelt, voller Hass gefüllt, schmiss ich meinen Vater aus dem Haus, was er mit schweigendem Verständnis zu Kenntnis nahm. Viel es mir doch schwer zuglauben, dass meine Eltern nun getrennte Wege gehen sollten.

Kaum war mein Vater gegangen, kam wenig später meine Mutter nach Hause. Sie erkannte direkt, dass etwas mit mir nicht stimmte, waren doch meine Tränen überall im Gesicht nicht übersehbar.

Liebevoll, führsorglich nahm sie mich gleich in ihre Arme, was bei ihr selten vorkam, desto mehr ich es nun genoss. Es mir schnell zu dieser alten Stärke verhalf, die meine Mutter von mir gewöhnt war.

„Jasmin, was war los mit dir?“ Fragte mich meine Mutter, in einem Moment, in dem ich nicht mehr auf ihrer Hilfe angewiesen war, wollte ich doch nun alleine auf meinem Zimmer sein, und drehte mich daher schweigend von ihr ab.

Anstatt meiner Mutter die Wahrheit zusagen, drehte ich die Musikanlage auf, was mir immer noch leichter viel – denn die Kraft meiner Mutter die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, die konnte ich bei Gott nicht aufbringen.

Ich hatte es mir, bis in den späten Abend, auf meinem Bett gemütlich gemacht, da meldete sich Mona telefonisch bei mir, die unbedingt noch mit mir um die Häuser ziehen wollte. Was mir, in meiner Laune, wie gerufen kam.

Noch schnell an der nächsten Tankstelle ein Sixtpack besorgt, fuhren wir raus aus dem Stadtkern an einen schön gelegenen Stausee, dessen Badewiesen zu dieser späten Stunde bereits wie leergefegt waren. Wo wir unsere nackten Füße, auf den Bootsdecks sitzend, an den eine Vielfalt von Dreht- und Ruderbooten befestig waren, ins abgekühlte Wasser hielten. Nur noch der Bootseigner war noch da, der gerade noch an seinem Kiosk die Rollläden herunterließ und sich schweigsam an uns vorbei, sich auf den schnellsten Weg nach Hause machte.

„Was war denn jetzt gestern?“ Hakte Mona neugierig nach.

„Wie meinst du dass?“ wusste ich doch nicht, auf was sie hinaus wollte.

„Zwischen dir und Jürgen, läuft da jetzt was?“ kicherte sie leise auf, was mich auch nicht verwundert hatte, hatten doch diese ganzen Swap-Serien Monas Liebesleben extrem geprägt. So hatte ich keine andere Wahl als Mona meine Geschichte zu erzählen, die sie mit voller Spannung verfolgte, was ihr in diesem Zusammenhang viel näher ging als Lisa. Sie beurteilte meine Erlebnisse eher aus einer gewissen Distanz. Aber das war jetzt auch egal, sie gehörte nun nicht mehr zu meinem Freundeskreis.

„Was ist los mit dir?“ unterbrach mich schlagartig Mona.

„Was soll los sein!“ Fragte ich geschockt nach, konnte ich doch erahnen das Mona sah, was in mir vorging.

„Irgendwas stimmt doch mit dir nicht?“

„Ich möchte nicht darüber sprechen!“ gab ich resigniert zu Worte, was Mona mit einen Kopfnicken zu Kenntnis nahm. Sie hätte mir zu gerne geholfen.

Mona zog es vor, nicht weiter nachzufragen, gab mir eher die Ruhe, die ich wirklich brauchte. Da hörte ich doch lieber Mona zu, die mit Begeisterung über ihren zukünftigen Arbeitsplatz sprach. Hatte sie es doch geschafft in Berlin einen Arbeitsplatz zur Journalistin zu bekommen, von dem ich immer nur träumen konnte, war doch mein Weg hier in Saarbrücken bis auf das Letzte verplant.

Es war schon weit nach zwölf Uhr, als wir uns entschlossen den Heimweg anzutreten. Schnell sammelten wir noch unsere leeren Flaschen zusammen und gingen wieder zurück auf den breiten Parkplatz, wo zu dieser Stunde nur noch Monas Auto stand. Das wir in weiser Voraussicht unter eine Straßenlaterne geparkt hatten, damit wir es unbeschadet in der Dunkelheit wieder erreichen konnten.

Verwundert schauten wir uns an, als eben noch in voller Aufbruchstimmung, nun nach zahlreichen Startversuchen der Motor schwieg, was uns in eine gewisse Panik versetzt hatte. Da konnte sich Mona noch so sehr in ihren Zündschlüssel verbeißen, es hatte wirklich keinen Sinn mehr.

Verbittert schlug Mona auf das Lenkgrad, öffnete mit einem leichten Schrei die Motorhaube und versuchte schnell den Fehler zu finden, was leider nicht so möglich war, wie es ihr lieb gewesen wäre. Und außerdem, was hatte sie noch so für eine andere Möglichkeit? Waren doch die Werkstätten in den umliegenden Dörfern bereits längst alle geschlossen.

So entschlossen wir uns die Nacht am Weiher zu verbringen, was immer noch besser war, als sich im eng gepferchten Auto Platz zu schaffen. Da konnten wir von Glück reden, dass an diesem Tag eine angenehme, lauwarme Sommernacht herrschte, so dass der Abend für uns nicht allzu grausam war. Hatten es wir zudem nicht schwer genug, auf einer blanken Wiese zu liegen, jeder einzelne Stein spürbar, kuschelten wir uns so dicht aneinander, dass ich Monas Atmen in meinen Nacken spüren konnte, was mich gleich wieder an Lisa erinnerte.

Ich bekam noch nicht einmal von Mona einen gute Nacht gewünscht, da schlief sie schon ein. Alleine da wach liegend, konnte ich, so gerne ich es auch getan hätte, nicht einschlafen. Hörte den Wind über das Wasser pfeifen, die Grillen zwitschern. Bei Gott, es hatte verdammt lange gedauert, bis ich endlich, trotz all meiner Gedanken, einschlief. Aber schon kurze Zeit später, von den ersten Sonnenstrahlen wieder aus meinen süßen Träumen gerissen wurde, und ich von da nur noch nach Hause wollte. Da war mir Monas Gejammer so ziemlich egal, die gerne noch weitergeschlafen hätte. Ich wollte nur noch auf den schnellsten Weg unter meine Dusche. Da konnte sich Mona ihren Geheulen sonst noch wo hin stecken, ich war in meinen Gedanken schon längst auf den Nachhauseweg.

Ging zur nächsten Telefonzelle die am Rande des Weihers so gut versteckt war, dass ich sie nur bei hellem Tageslicht erkennen konnte. Plötzlich und völlig geschockt, sah ich meinen Vater zusammen mit einer weiblichen Begleitung in einem Ruderboot auf dem Weiher, was ich nicht länger beobachten wollte. So schwer es mir auch viel den Worten meiner Mutter zu glauben, musste ich mir nun eingestehen, dass sie in diesem Zusammenhang recht hatte.

Mona, die mich beobachtet hatte, konnte sich ihren Teil denken, dafür kannte sie mich einfach zu gut, dass ich ihr da noch etwas hätte verbergen hätte können.

Schnell hatte ich den Pannendienst gerufen, der mit ein paar Handgriffen Monas Auto wieder so fahrbereit machte, dass wir uns schnell auf den Heimweg machen konnten.

Die nächsten Ferientage verliefen so, wie ich mir dass eigentlich vorgestellt hatte. Viele Partys brachten mir die Abwechslung, die ich brauchte, war es für mich doch schwer mit dem Erlebnis vom Stausee meiner Mutter gegenüberzutreten. Der ihr, wenn ich es erzählt hätte, wahrscheinlich damit den Rest gegeben hätte. Und Jürgen, er hatte sich zu meiner großen Verwunderung die letzten Tage nicht mehr bei mir gemeldet. Eigentlich hatte ich ihn schon abgeschrieben, als er sich doch noch wieder bei mir anrief. Was ich am Anfang gar nicht glauben wollte, aber umso mehr freute ich mich letztlich darüber.

Wir telefonierten bis in die späte Nacht hinein und keiner von uns Beiden hatte Lust das Telefongespräch zu beenden. Aber so schwer mein Arm auch wurde, umso deutlicher konnte ich mir die Müdigkeit anmerken. So beendete ich mit einer kleinen Tränen, im Auge, das Gespräch, legte den Hörer bei Seite und wollte mich gerade schlafen legen, da klingelte es überraschend an der Haustüre, was ich zu dieser Stunde nicht glauben konnte.

Vorsichtig – mit kleinen Schritten ging ich auf die Haustüre zu, hinter der durch die starke Außenbeleuchtung die Umrisse einer Person durch die Glassschreibe reflektiert wurden, mit der ich auf Anhieb nicht so recht etwas anfangen konnte. Ich war stark am überlegen ob ich öffnen sollte – aber die Neugier war umso groß in mir, dass ich jetzt nicht mehr die Türe geschlossen halten konnte.

„Jürgen, du hier?“ schrie ich vor Begeisterung auf, und schon nahm mich Jürgen in seine Arme, was ich sehr genoss.

So sehr es in meinem Körper am Vorabend gekribbelt hatte, konnte ich meine Gefühle der letzten Stunden nicht so recht einordnen. Ging mir das nicht vielleicht nicht ein bisschen zu schnell?

Schweigsam drehte ich mich von Jürgen ab, auf was er keine Reaktion zeigte. So sehr er sich bemühte, mich wieder in seinen Arm zunehmen - gegen was ich mich in all meinen Gedanken nur währte. Was er nicht glauben – einfach nicht begreifen wollte. Er versuchte beruhigend auf mich einzureden, um mir die Angst zu nehmen, aber trotzt allem kamen meine Zweifel wieder hoch, die ich noch von meiner letzten Beziehung hatte.

Die Zeit nach der Trennung, in der ich die Hilfe von Lisa brauchte. Sie immer ein offenes Ohr für mich hatte und stets für mich da war.

Schnell machte ich Jürgen klar, dass es das Beste wäre, wenn er gehen würde. Was Jürgen einfach nicht glauben wollte, mir andererseits für ihn sehr Leid tat, aber für mich wirklich das Bessere war, steckten noch so sehr diese Erfahrungen in meinen Knochen.

So sehr ich auch versucht hatte, mir diese Gedanken in den zahlreichen Partynächten aus dem Kopf zu schlagen, desto mehr versuchte sich Jürgen telefonisch bei mir in den nächsten Tagen zu melden. Was mich irgendwie schon genervt hatte – für was ich keine Zeit mehr hatte, rückte doch mein Ausbildungsbeginn immer näher. Ein Tag, in dem ich mit meinen Gedanken am besten aufgehoben war.

Kaum hatte mein Wecker, an diesem Tage, mich aus meinem Schlaf gerissen, stand ich im nächsten Moment unter der Dusche. Was würde mich wohl an meinen ersten Arbeitstag erwarten? Gedanken, die mich zunehmend immer nervöser machten.

Frisch gestylt stieg ich wenig später in den Wagen meiner Mutter, die mich auf dem schnellsten Weg mit auf die Arbeit nahm.

An der Bank angekommen stellte meine Mutter ihren Porsche auf ein extra für sie reservierten Parkplatz, der sich in unmittelbarer nähe des Haupteingangs befand – ein Privileg, dass nicht jedem zugute kam. Was mich sichtlich beeindruckt hatte.

Den großräumigen Eingangsbereich durchschritten, führte meine Mutter mich auf dem direkten Weg zum Filialleiter, der schon auf uns gewartet hatte. Wo mich meine Mutter nur noch schnell abgab, war doch ihr Terminplaner mal wieder so voll gepackt, dass für mich eher weniger Zeit übrig blieb. Und ich gleich an den nächsten freien Schreibtisch geführt wurde, wo mir Frau Reibweiler vorgestellt wurde, die bei mir auf Anhieb einen sympathischen Eindruck hinterließ.

Kurze Zeit später saßen wir beide alleine an ihrem Schreibtisch, wo mir Frau Reibweiler die wichtigen Merkmale des ersten Arbeitstages nahe brachte, was für mich eher kein Problem war, hatte ich doch einen Namen zur Verteidigung.

Es machte mir viel Spaß am Computer zu sitzen, und mit all den Zahlen zu spielen, kam doch hier meine Liebe zur Mathematik voll zur Geltung.

So verliefen, die nächsten Arbeitstage, in denen ich mehr und mehr in die Verantwortung eingebunden wurde.

Eines Tages, als ich nach Hause kam, es war ein Freitag, an dem ich völlig fertig nach einer harten Arbeitswoche nun endlich ins freie Wochenende starten wollte, plötzlich mein Telefon klingelte, auf dessen Display ich wieder mal Jürgens Nummer sah, der es immer noch nicht aufgegeben hatte, mit mir sprechen zu wollen.

Ich wusste nicht, was mich dazu getrieben hatte den Hörer abzuheben. Vielleicht war es meine gute Laune, mit der Jürgen im ersten Moment nichts anfangen konnte. War er doch zudem überrascht, dass ich den Hörer abgehoben hatte. Waren doch mehr als drei Monate seit unserer gemeinsamen Nacht vergangen.

„Wie geht es dir?“ Eine Frage, die ich trotz meiner guten Laune mit einem gedämpften: „Es geht!“ beantwortete. Ich weis nicht, wie ich das fortlaufende Gespräch weiter beschreiben sollte. Kamen wir doch ziemlich schnell zu einem lustigen, klaren Gesprächsverlauf, welches sich über die Lockerheit vergangener Telefonabende stellte.

„Was machst du heute Abend noch?“ Erkundigte sich Jürgen schlagartig bei mir, wollte er doch bestimmt die Nacht nicht alleine sein.

„Ich werde noch mit Mona um die Häuser ziehen!“ zog ich mich schnell aus der Affäre. Und nun von da an, das Gespräch schnell zu Ende war.

Aber ich zog es lieber vor, den Abend alleine in meinem Bett zu verbringen. Las ein Buch, bis meine Augen immer schwerer wurde – wollte ich gerade noch mein Buch bei Seite legen – als ich plötzlich mein Klassenfoto sah, dass auf meinen Nachttisch stand. Ich nahm es in meine Hand, und mein Blick gleich auf Lisa traf, die ich mit zunehmender Dauer immer mehr vermisste.

Lange blickte ich sie an. Es kam mir schon so vor, als lachte sie mich an. So wie sie es immer tat – ihre Art, die mich immer wieder schnell aufbaute.

Müde und traurig, der Schläfrigkeit nicht mehr trotzen zu müssen, konnte ich mich doch keine weitere Sekunde mehr wach halten.

Am späten Abend, aus den Schlaf gerissen, klingelte mal wieder das Telefon.

„Lisa, bist du es?“ schrie ich wie von der Tarantel gestochen in den Hörer, konnte es kaum realisieren, dass sie es war.

„Ich habe nicht viel Zeit mit dir zu reden. Ich muss dich so schnell wie möglich treffen!“ flüsterte Lisa so leise in den Hörer, dass ich echt Mühe hatte sie zu verstehen.

„Was ist denn überhaupt los?“ erkundigte ich mich verwundert, ging mir das doch ein bisschen zu schnell.

„Morgen Abend um elf Uhr am Stausee. Komm bitte alleine!“ gab mir Lisa rasch zu verstehe, und legte dann auch schon wieder den Hörer auf.

Es viel mir schwer am nächsten Tag gegenüber meiner Mutter ein glückliches Gesicht am Frühstückstisch zu ziehen. So schwer steckten noch Lisas Worte in meinen Kopf, dass ich mich am liebsten unter den Küchentisch zurückgezogen hätte.

„Gehst du noch weg?“ Fragte mich meine Mutter, als ich am Abend das Haus verließ.

„Ich wollte mich noch mit Mona treffen!“ versuchte ich mich zu endschuldigen, wollte ich doch meiner Mutter gegenüber nicht erwähnen, dass ich mich mit Lisa treffen wollte.

Es war nicht allzu weit bis zum Stausee, was mit dem Linienbus noch nicht einmal in sechzig Minuten gedauert hatte. Minuten, in denen sich die Angst immer mehr in mir ausbreitete. Stellte ich mir mehr um mehr die Frage, ob ich nicht doch wieder nach Hause fahren sollte.

Ich wusste nicht, was ich wollte, wie ich mich in dieser seltsamen Situation verhalten sollte.

Am Ziel, aus dem menschenleeren Bus ausgestiegen, schloss der Bus gleich wieder die Türe hinter mir zu, und schon fuhr der Bus wieder zurück in die Stadt. War es doch wirklich für den Busfahrer ein Rätsel, was ich um diese Uhrzeit hier draußen noch wollte. Alleine stand ich wenig später am Ufer. Weit und breit war keine Lisa zu sehen.

„Bist du alleine?“ überraschte mich eine Lisa, schlagartig, unerwartete plötzlich hinter mir stand.

„Kannst du mir mal sagen, was überhaupt los ist?“ Fragte ich sie mit einer Miene, in der deutlich die Angst zu erkennen war. Fühlte ich mich doch der 007- Tendenz noch näher kommend.

Rasch führte mich Lisa zu einer Stelle des Sees, von wo aus, wir nicht so schnell zu sehen waren. Wie setzten uns ans Ufer und gleich fing Lisa an zu erzählen. Machte mir deutlich klar, in welch ein Spiel sie verwickelt war. Welchen Druck sie Tag für Tag ertragen musste, nämlich den ihres Vaters, der so lange auf Lisas Mutter eingeredet hatte, bis sie zuwilligte Lisa nach Köln zu schicken.

Er untersagte Lisa jeglichen Kontakt zu ihrem Freundeskreis. Regeln, die eingehalten werden mussten, auf was auch ihr Bruder sehr achtete!

Rasch verging die Zeit, Lisa konnte nicht all so lange bleiben, wurde sie bestimmt schon vermisst.

Zum Abschied umarmten wir uns so fest, wie wir es noch nie getan hatten.

„Pass auf dich auf!“ flüsterte sie mir ins Ohr, bevor Lisa verschwand, waren wir uns beide doch sehr sicher, dass wir uns an diesem Tag nicht zum letzten Mal gesehen hatten.

Sichtlich geschockt blieb ich noch eine Weile sitzen, war ich doch trotz der gespannten Lage sehr froh darüber, dass unsere Freundschaft noch nicht zu Ende war.

, zog durch den Raum eine unbeschreibliche Stille ein, wusste doch jeder zu gut, wer sie war. Von was ich mich nicht aus der Ruhe ziehen ließ, verhielt ich mich doch meiner Mutter so gegenüber, wie ich es von zuhause gewohnt war.

Kaum ging meine Mutter nach einem kurzen Gespräch mit mir, zurück zum Fialeleiter ins Büro, da kam gleich Frau Reibweiler

Kaum war ich wieder zu hause, meldete sich wieder Jürgen am Telefon, der so lange ohne mich nicht leben konnte.

„Mir geht’s super!“ gab ich ihm die Antwort, die er hören wollte. Kam es mir doch so vor, als wolle er meine Anwesenheit kontrollieren. Ich hielt es daher für das Beste, das Gespräch auf einen kurzen Level zu halten.

Am nächsten Tag, hielt ich dem zunehmenden Druck meiner Gedanken nicht mehr aus. Ich musste raus – ging in die Stadt. Setzte mich in den Außenbereich, einer der zahlreichen Straßencafe des alten Marktplatzes, der sich im Herz der Altstadt befand. Aß einen großen Eisbecher und las dabei die örtliche Tageszeitung, die ich mir vom Kellner hatte bringen lassen.

Gerade, als ich die erste gelesene Seite umschlagen wollen, sah ich plötzlich Jürgen in der Ferne, zusammen mit Rebecca an mir vorgehen, was die Gedanken, der Vergangenheit schnell wieder in mir aufheulen ließ.

In der nächsten Zeit wiederholten sich immer mehr um mehr Lisas Worte in meiner Erinnerung, was schon ein eigenartiges Gefühl in mir war, merkte ich doch dabei, wie ich mich zunehmend zurückzog. Eine Situation, mit der ich nicht umgehen konnte. Was mir immer mehr angst machte.

So verging die Zeit. Tag für Tag. Woche für Woche. Aus den Sommer heraus, bis in den späten Winter hinein.

Es war mittlerweile Mitte Dezember. Ich war gerade auf meiner Arbeitsstätte damit beschäftigt, wieder mal hinter dem Computer sitzend, für den richtigen Überblick der Zahlen zu sorgen, als plötzlich für mich total unerwartet meine Mutter neben mir stand.

Durch ihre unglaubliche Erscheinungzu mir an den Tisch, die das per „Du“ mit meiner Mutter nicht verstehen konnte. Was ich eher mit einem Lachen zur Kenntnis nahm, war das doch meine Mutter, was Frau Reibweiler sichtlich geschockt zur Kenntnis nahm.



Ein halbes Jahr später

Noah

den Blick auf meine Person gerichtet. Sie alle konnten so nicht richtig begreifen, dass ich aus den Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt hatte.

„Geh sofort meinen Schlüssel holen!“ schrie sie. Ginge es nach ihr, wäre ich schon längst nicht mehr auf dieser Schule.

„Verstehen sie denn keinen Spaß?“ versuchte ich bei verlassen des Raumes mich zu erklären, hatte sie ja schließlich mit diesem Unfug angefangen.

Schnell hatte ich den Schlüssel von der Straße aufgehoben, ging ich wieder zurück in die Klasse, ohne dabei einem stehenden, herumschreienden Autofahrer, der sich vor

Was für ein armseliger Tag es wieder war. Der Himmel bewölkt, die Luft äußerst feucht, nicht gerade ein typischer Julitag. Nein, bei solch einem Wetter hatte ich nicht gerade die große Lust mich aus meinem Bett zu erheben. Aber was blieb mir da für eine andere Möglichkeit, als mein Gesicht von meinen Fenster abzudrehen und mein müden Arsch in die Schule zu bewegen. Wo bestimmt ein Haufen Spekulanten, Schleimer oder irgendwelche Hinterweltler auf mich schon warteten.

Ich versuchte mich noch einmal unter meine Bettdecke zu verstecken, aber da klingelte auch schon mein Telefon, das sich leider nicht vor meinem Bett befand, sodass ein Aufstehen nicht vermeidbar war. Nun denn, was blieb mir da für eine andere Möglichkeit, als meine warme Bettdecke bei Seite zu ziehen und mich mit einer seitlichen Rechtsdrehung über die Bettkante hinweg, in eine senkrechte Körperhaltung zu bringen. Da spürte ich schon im nächsten Moment, den kalten, erstarrten Holzboden, der in mir all meine Glieder zusammenziehen ließ.

Am liebsten hätte ich mich geradewegs wieder zurück ins Bett fallen lassen, wenn nicht da das immer noch klingelte Telefon gewesen wäre.

Mit einer Unterhose und einem T-Shirt bekleidet stieg ich über Essensreste, Kleiderstücke, Schuhe und Bücher hinweg, die sich in den letzten Tagen in meiner kleinen Wohnung angesammelte hatten. Wo ich echt mühe gehabt hatte, unbeschadet das Telefon zu erreichen.

Den Hörer in meiner linken Hand meldete sich schon eine elektronische Stimme bei mir. „Guten Morgen hier spricht der von ihnen bestellte Weckdienst der Deutschen Telekom!“

Mit schrecken gehört, legte ich gleich den Hörer wieder bei Seite und fragte mich, ob solch ein Mensch wie ich, der nie Geld in der Tasche hatte, zu solch einem kostspieligen Service greifen sollte.

Nein, da konnte etwas nicht stimmen! Da hatte mir wohl jemand ein Streich gespielt. War es meine Mutter?

Versuchte sie doch – seit ich nicht mehr bei ihr wohnte, stets mein Leben unter Kontrolle zu halten. Musste ich mir nun mal eingestehen, dass sie in diesem Fall wieder zu weit ging.

Hinein in die Klamotten, die ich in ein paar alten Mühlsäcken gelagert hatte, welche mir als Kleiderschrank dienten, war doch die Mobilität so kostspielig bei mir geworden, dass ich mir wenigsten noch ein Bücherregal und einen funktionierenden PC mein eigen nennen konnte, an dem ich schon manch eine Nacht durchgemacht hatte.

Startklar verließ ich wenig später meine Wohnung. Begab mich, vorbei durch die Saarbrücker Fußgängerzone, hinein in die Altstadt – aus der Innenstadt hinaus, über die rote Ampel. Quer über die hoch frequentierte Straße hinweg und hinter dem Staatstheater ging ich mich über eine enge Fußgängerbrücke, die auf die andere Seite des Saarufers reichte. Nach wenigen Minuten war ich am Saarbrücker Schloss. Nahm die Abkürzung, die Schlosstreppe hinauf, den direkten Weg zum Schlosshinterhof und ersparte mir so die lange gezogene Umgehungsstraße.

Über den Schlosshof rannte ich hinweg, von wo aus, ich schon die immer näher rückende Schule sehen konnte.

Ich rannte noch an der großen Schulmauer entlang, die mit ihrer überragende Größe den vorbeifahrenden Straßenverkehr vor heran fliegende Fußbällen schützten sollte. Und siehe da, da stand ich schon, im vorderen Eingangsbereich des Schulhofes, wo sich die Schüler in mehrere kleine Gesprächsgruppen unterteilt hatten.

Kaum wurde ich als Ankömmling von jedem einzelnen begutachtet, stand bei mir schnell wieder die Frage im Raum: „Zu wem sollte ich gehen?“

Am liebsten wäre ich nicht von der Stelle gewichen, denn was hatten die schon bei mir verloren. Sie waren nicht gerade die Menschen, zu denen ich Kontakt suchte. Meine Interesse schenkte ich mir da lieber selbst – meinem Computer, der zu den Dingen gehörte, die ich in dieser Welt noch ein wenig ernst nehmen konnte. Was auch nicht verwunderlich war, hatte ich doch keine wahren Freunde auf dieser Schule, eher nur ein paar wenige Bekanntschaften, mit denen ich mal ein paar Worte wechselte. Warum sollte ich mir das auch antun?

Auf der Stelle stehend, wusste ich nicht so recht, wo ich hingehen sollte. An was das wohl gelegen haben konnte? Konnten sie mich nicht mehr sehen, oder konnte ich sie nicht mehr sehen? Ich wusste nicht – diese Blicke, die mich regelrecht in die Ecke trieben. Aber da ertönte auch schon der Schulgong, der mir das Startsignal gab, mich zusammen mit der getriebenen Masse, durch die eng gepferchte Eingangstür ins Schulgebäude zu drücken.

Die Treppe gleich hoch, den Gang durchgelaufen, erreichte ich nach einen langen Fußmarsch meinen Klassensaal. An der davor befindlichen Garderobe zog ich noch schnell meine Jacke aus und betrat dann den Klassensaal.

Nahm meine gewohnte Sitzposition auf meinem Platz an, der sich im hinter Teil der Klasse dort befand, wo ich vor den Blicken, der Lehrer noch einigermaßen geschützt war.

Mit dem Kopf auf dem Tisch liegend – ich hatte noch nicht einmal die Augen zugemacht, wurde ich von einem heran fliegenden, dicht gebündelten Schüsselbund, der mit voller Wucht aus der Hand meiner Lehrerin kam, aus meiner Gemütlichkeit gerissen, und ein Moment entstand, ich dem ich nicht so recht verstand, was passiert war.

Doch diesen Moment der Peinlichkeit, konnte ich so nicht auf sich beruhen lassen. Das Gelächter meine Klassenkameraden war weit über die Zimmergrenzen hinaus zu hören. Da war doch eigentlich jeglicher Art von Kommentar unnötig!

Nach einer kurzen Bedenkpause sah ich nun eine Möglichkeit, der Situation wieder Herr zu werden. Ich nahm den Schüsselbund rasch an mich und warf ihn im nächsten Moment, zur größten Überraschung meiner Klassenlehrerin, nicht ihr wieder zurück, sondern aus dem geöffneten Fenster. Und siehe da, da war niemand mehr nach lachen zu mute – eher lachte keiner mehr, was nun mich dafür umso mehr lachen ließ. Mein Klassenlehrerin hingegen, sie blickte geschockt ihrem Schüssel hinterher, der geradewegs auf der viel befahrenen Verkehrsstraße landete, zu der sich zu dieser frühen Morgenstunde, die Autos nur so durch den dicht gedrängten Berufsverkehr quälten.

Nun hatte wohl auch der Letzte im Saaldem fliegenden Schlüsselbund bedroht gefüllt hatte, meine Aufmerksam zu widmen.

Ich brachte meiner Lehrerin die Schüssel zurück, und atmete erstmal tief durch, als ich mich wieder zurück an meinen Platz setzte. War ich doch von meiner Person nicht die Sportskanone. Aber da rief sie mich im nächsten Moment vorne zu ihr an den Pult, und somit die Reise für mich noch nicht zu Ende war.

„Noah – hast du ein Problem?“ Fragte sie mich total wutentbrannt. Ihre Hilflosigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben.

„Wie kommen sie da darauf?“ Fragte ich sie so unschuldig wie nur möglich. Worauf sie mich nur schweigend anstarrte.

„Warum haben sie mich gerufen?“ hakte ich nach einer langen Pause nach, war ich doch der Annahme, ich hätte sie milde gestimmt. Hatte dieser Tag doch grad erst begonnen. Also, warum der ganze Stress?

„Es geht um die Praktikumsstelle, Noah!“ erwiderte sie – wohl wissend, dass ich im Gegensatz zu meinen Mitschülern anderweitig beschäftigt war, als mir jetzt eine Praktikumsstelle zu suchen.

Ich hätte an diesem Tag wirklich lieber zu hause bleiben sollen, hatte ich doch nicht die Lust gehabt, bei dem morgigen Pflichtpraktikum nur einen Finger zu rühren. Den Handlanger für jemanden anderen zuspielen. Wer möchte schon den Parkplatz fegen, Ringordner sortieren oder nur Zigaretten einkaufen? Könnte man ja sich gleich einen Ferienjob suchen, da bekam man wenigsten noch einen Lohn dafür. Daher zog ich es nicht gerade vor mir eine Praktikumsstelle zu besorgen. Wollte diese Zeit lieber für mich alleine sein.

„Ich habe leider nichts gefunden!“ gab ich ihr zu verstehen, wobei ich mit dem Gedanken gespielt hatte, sie würde mich von all meinen Pflichten befreien.

„Das habe ich mir schon gedacht, und deswegen habe ich schon gestern Abend dein Vater angerufen!“

Ja – mein geliebter Vater, wenn es ihn nicht gäbe, hätte ich bestimmt mein Leben ein wenig ruhiger gestalten können. Gegen einen Menschen, der in der Landesregierung einen so guten Ruf genoss, konnte man eben nichts tun. Wobei ich möchte nicht behaupten, dass mein Vater mir böses wollte. Setzte er sich doch immer für mich ein. Bog gerade, was ich falsch gemacht hatte. Was er mehr, als einmal für mich getan hatte. War doch mit dem richtigen Parteibuch in unserem Land wirklich alles möglich.

„Was meinen sie bitte damit?“ erkundigte ich mich mit einer gewissen Vorahnung.

„Dein Vater hat mir zugesichert, dass er für dich eine Praktikumsstelle organisieren wird!“ Ein Genuss des Sieges, was sie sichtlich sehr genoss.

„Und was soll ich dort?“ gab ihr ich niederschlagen zu verstehen.

„Regle das bitte mit deinem Vater!“ hatte sie doch absolut keine Lust mehr, sich auf eine weitere Diskussion mit mir einzulassen.

Enttäuscht, über meinem misslungenen Plan, setzte ich mich zurück an meinen Platz, von wo aus der fortlaufende Unterricht an mir vorbei ging.

Ich war froh darüber, als endlich die Schule vorüber war, und ich mich gleich zu meinen Vater aufmachte, dessen Arbeitsstätte von meiner Schule nur ein Steinwurf entfernt war.

Ich ging über die kurze Eingangstreppe ins Gebäude, in dem mein Vater arbeitete – geradewegs durch die breit angelegte Eingangstüre, am Pförtner vorbei. Benutzte den nächst verfügbarem Aufzug, der mich geradewegs in den letzten Stock des Gebäudes beförderte, wo mein Vater sein Büro hatte.

Dort angekommen, stand ich in einem menschenleeren Flur, mit einem laufenden Kopierautomaten, der sich gegenüber der Fahrstuhltür, genau in der Mitte des langen Flures befand.

Die Bürotüre meines Vaters hatte ich gefunden, da klopfte ich auch schon zweimal vorsichtig an Türe, und schon bat mich mein Vater hinein, der am Anfang mich recht verwundert anschaute, hatte er doch mit mir am wenigsten gerechnet.

„Ich möchte mit dir reden!“ machte ich meine Bedenken frei, wollte ich mich doch nicht immer mit seinen Entscheidungen anfreunden.

Ich setzte mich in einer der Lederseelen die direkt vor seinem Schreibtisch standen, die eigentlich für wichtigere Besucher gedacht waren, als für mich. Kaum hatte ich mich hingesetzt, fragte mich verwundert mein Vater mit gestresster Mimik, was eigentlich los sei.

„Wie – hast du ein Problem damit?“ hakte er in einem Moment nach, in der ich gerade noch die optimale Sitzposition für mich suchte.

„Ich möchte nicht dieses beschissene Praktikum machen, egal wo es sein soll!“ sagte ich.

„Noch nicht einmal auf einer Bank!“ was für mich eher noch schlimmer war, als ich am Anfang gedacht hatte.

Nun saß ich da, wie der bekannte Ochs im Walde. Dies war die Situation, die mein Vater sichtlich genoss. Es entsprach dem Charakter seiner Person. Da konnte ich meine Mutter im Nachhinein umso besser verstehen, dass sie sich letzten Endes von ihm hatte scheiden lassen.

„Was soll ich auf einer Bank!“ Hatte ich doch von meiner Seite finanzielle Probleme genug.

„Wo möchtest du denn dann hin?“ erkundigte er sich reflexartig bei mir.

Nun stand ich noch blöder bei meinen Vater da, wie zuvor, trotz meiner gesammelten Erfahrungen, die ich im Laufe der Zeit bei meinen Vater gesammelt hatte.

Mir blieb sprichwörtlich die Spucke im Halse stecken, stand wie versteinert da, wusste ich doch nicht, wie ich in dieser Situation reagieren sollte, die mir in diesem Moment eher angst machte. Ich es einfach nicht wahrhaben wollte, dass da mein Vater so lachend vor mir saß. Schnell – rasch – unverzüglich machte ich mich wieder auf, wollte ich doch diesen Ort schnellst möglich verlassen. Ab zurück in die City, wo um diese Uhrzeit ein recht reges Treiben herrschte. Hatte es doch in den vergangen Tage so stark geregnet, dass es die Menschen bei diesem schönen Wetter endlich wieder aus ihren Häusern zog. Ideale Vorrausetzungen meinen heimischen Kühlschrank wieder aufzufüllen, dessen Zustand auf die Dauer, so wirklich nicht mehr hinnehmbar war.

So sehr ich auch meine Mutter mochte, fiel es mir immer wieder schwer, sie um Geld zu bitten, hatte sie doch selbst seit der Scheidung, ihre eigenen Probleme.

Es war schon ein dummes Gefühl für mich gewesen, als ich ihren Fünfzigmarkschein in der Hand hielt. Mir all diese Zweifel wieder hoch kamen. Aber so beschissen ich mich dabei fühlte, wusste ich zugleich, wie sehr meine Mutter sich um mich sorgte.

Gerade hatte ich das Brot, der letzte Punkt auf meiner Einkaufsliste, im Supermarkt eingepackt, ging ich zurück zu meiner Wohnung. Grade dort angekommen, stand mir schon mein Vermieter gegenüber, der unbedingt sein Geld wollte.

Es war schon schwer für mich, diesem Mann gegenüberstehend, die richtigen Worte zu finden, wusste ich doch nur zu gut, dass mein Vermieter genauso auf mein Geld angewiesen war, wie ich selbst.

„Ich möchte jetzt mein Geld haben!“ machte er mir diesmal recht unmissverständlich klar. Hob dabei seine Hand, mit einem gestreckten Finger, um seiner eben getätigten Aussage Nachdruck zu verleihen.

„Machen sie sich keine Sorgen, morgen haben sie ihr Geld!“ Was er am Anfang nicht so recht glauben wollte, kannte er doch zu gut meine Triebkraft, die am nächsten Morgen wohl ihren Höhepunkt gehabt haben musste, war es doch für mich wirklich mal kein Problem aus dem Bett zu kommen.

Zum Glück herrschte vor der Bank am frühen morgen nicht gerade ein Hochbetrieb, der mir die gute Laune hätte nehmen können. Zudem hatte ich doch nicht gerade die Zeit, mich länger als nötigen dort aufzuhalten, wollte ich doch bei meinen ersten Praktikumstag wirklich nicht unpünktlich dort erscheinen.

Schnell hatte ich mein Geld vom Automaten bekommen, da stand ich wieder vor der Eingangstüre, der Bank, in der Morgendämmerung, die von früh frostiger Frische begleitet wurden. Meiner Lust zu folge, hätte ich mich am liebsten wieder zurück ins Bett gelegt.

Es war schon ärgerlich genug für mich, mit siebzehn noch kein Auto fahren zu dürfen, und es so mal wieder unumgänglich erschien, den Weg zur Arbeit zu Fuß, zu nutzen. Die langsam immer mehr werdenden Menschen, auf dem Bürgersteig, rechts und links neben mir, gaben regelrecht das Schritttempo vor. Ein auf und ab der Gefühle in mir begann. Stopp and Go, geregelt von den Ampelanlagen, kam es zu einem Spiel zwischen Ordnung, Raum und Zeit, in dem Niemand zurücktreten konnte oder wollte.

Wäre es nach mir gegangen, läge ich nun noch zuhause im Bett, in all meinen Träumen. Für was ich mich nun bei meinen Vater bedanken konnte, der mich unter solch einen Druck gesetzt hatte, dass ich nun keinen Ausweg mehr sah, als mich dieser immer näher rückenden Praktikumsstelle nun doch zu stellen. Hatte er mir doch zu sehr damit gedroht den Geldhahn zuzudrehen, was mich letzten Endes auf die Straße gebracht hätte.

Am Ziel angekommen, betrachtete ich erstmal vor der Bank stehend, meine Arbeitsstätte, für die nächste Wochen an. Die von ihrer Größe ein sehr beeindruckendes Bild auf mich hinterließ. Kurze Hand später ging ich die lang gezogene Eingangstreppe hinauf, bevor ich im Schalterbereich stand, der wirklich so groß war, dass es einen Moment gedauert hatte, bis ich mir einen Überblick verschafft hatte.

„Guten Morgen Herr Petry!“ begrüßte mich eine gut gelaunte Dame, um die zwanzig Jahre alt, wenn mich mein erster Eindruck nicht täuschen sollte. Charmant lächelte sie mich an, was mir gleich gefiel – mir gleich sehr entgegenkam, war sie doch in diesem Sinne, die Augenweide, zu der ich nicht gerade „nein“ sagen würde.

„Frau Theis“ hieß sie, was schon mal ein guter Anfang zur “Telefonnummeraustauschfrage“ war.

Sie führte mich gleich durch die heiligen Hallen, zeigte mir im Vorbeigehen die wichtigsten Dinge – wie, der Kopierautomat - alles was ich zur Arbeit eben brauchte.

Wir erreichten das Büro, des Filialleiters. Er begrüßte mich in einer kurzen Willkommensansprache zu meinen ersten Tag, was mich eher weniger interessierte. Vielmehr hatte mich mein alltäglicher Stundenlohn, den vorher mein Vater für mich ausgehalten hatte, interessiert. Fünfundzwanzig Mark, auf mein Vater war wirklich verlass.

Herr Hoffmann, der Filialleiter, zeigte wenig später mir, immer noch in Begleitung von Frau Theis, den Rest des Gebäudes. Er führte uns zu meinen Arbeitsplatz, der sich in unmittelbarer Nähe von dem Platz der sympathischen Frau Theis befand, was mir in diesem unübersichtlichen großräumigen Büro, einen sehr zielsicherer Orientierungspunkt war.

Am Platze sitzend wusste ich nicht so recht, was ich mit dem vor mir stehenden PC überhaupt anfangen sollte, war doch mein Interesse mehr auf das Spielen bedacht, als das erarbeiten irgendeiner Buchhaltung. Da konnte ich Frau Theis noch so sehr bittend anschauen - regelrecht anstarren, sie versorgte mich nicht mit Arbeit.

So hatte ich mir wirklich nicht meinen ersten Tag vorgestellt. Lag es vielleicht an der Tatsache, das Frau Theis selbst nicht wusste, was sie mir geben konnte – welche Arbeit für mich Vertrauenswürdig war? Herrschte doch in dem ganzen Büro regelrecht Geheimstufe Nr.1. Durfte kein Ordner offen liegen gelassen werden. Also, was sollte mir Frau Theis geben – was durfte ich überhaupt bearbeiten?

Ein Gefühl des Unbehangens kam, mit der Zeit, in mir hoch! Ein Wechselbad der Gefühle in mir auslöste, war ich es doch von meiner Person gewohnt, die Oberhand zu gewinnen.

Was für ein Arbeitsplatz, der sich vor mir ausbreitete! Lagen nicht solche Unmengen von Informationen vor mir, die bestimmt nicht für jeden X-beliebigen sichtbar werden sollten. Da stellte mich Frau Theis doch lieber vor den Kopierer, hatte sie doch noch eine Menge von Arbeitsunterlagen von denen sie unbedingt noch einen Abzug brauchte. Eine Aufgabe, der ich mich gewachsen fühlte.

Kaum war ich mit meiner Arbeit fertig geworden, brachte mir Frau Theis solch einen riesigen Ordnerstapel, dass sie regelrecht Mühe hatte noch ihre eigenen Füße zusehen. Doch gerade, als es den Anschein hatte, sie würde unbeschadet ihr Ziel erreichen, kam sie ins stolpern. Was ich zu gern mit einem Lachen zur Kenntnis genommen hätte, wenn Frau Theis nicht ungebremst mit ihrem Gesicht auf dem Boden aufgeschlagen wäre, sodass mir für einen Augenblick vor schreck die Luft wegblieb.

Sofort wollte ich ihr zu Hilfe eilen, aber da kniete sie schon wieder auf und stapelte schnell ihre herumliegende Ordner aufeinander, sodass ich keine Chance hatte, ihr zu helfen. Sie keine Zeichen von Schmerz zeigte. Erst als ich sie auf ihren aufgerissen Ellenbogen aufmerksam machte, wurde ihre Gesichtsfarbe schlagartig kalt weis – ich setzte sie sofort, gestützt von meiner Schulter, vorsichtig auf einen Stuhl.

„Tut mir leid, dass ich dich vorhin so ablehnend behandelt habe!“ versuchte Frau Theis ihr vorangegangenes Verhalten zu entschuldigen.

„Ist schon gut, Frau Theis!“

„Nenne mich bitte, Jasmin!“ was mir gleich viel besser gefiel.

Es war schon erschreckend für mich zu sehen – wie sehr ich mich um Jasmin gekümmert hatte, umso mehr hatte ihr Sturz bei den restlichen Angestellten des Hauses keinerlei Reaktionen aufkommen lassen. Zogen sie es doch lieber vor, an ihren Plätzen sitzen zu bleiben. Warum sollten sie ihr auch helfen? Lagen doch deren Arbeitspläne zu dicht bemessen, dass sie Jasmin eher nicht beachten durften, wenn sie nicht mit ihrem Arbeitspensum ins Hintertreffen geraten wollten.

„Begleitest du mich mit in die Mittagspause?“ erkundigte sich zu Beginn der Mittagspause Jasmin bei mir. Ein Angebot, dem ich nicht widersprechen konnte.

Da wir nicht das Risiko der Pausenraumregelung auf den Prüfstand stellen wollten, zogen wir es lieber vor, gemeinsam in die Stadt zugehen. War doch die Altstadt nur wenigen Gehminuten von unserer Arbeitsstätte entfernt.

Bei solch einem herrlichen Wetter saßen wir draußen vor einer der zahlreichen Cafés, auf dem kreisförmigen alten Marktplatz, in dessen Mitte ein großer, in weiß angelegter Frauenbrunnen befand. Er gab den, an diesem Ort befindlichen Menschen, eine gewisse Ausstrahlung, die diesen Ort doch zu einladen aussehen lies.

Während des, genoss ich ein kühles Bier und schaute den vorbeilaufenden Passanten zu. Versuchte mir so meinen Kopf von meinen ersten halben Arbeitstag zu befreien, war ich es doch als Schüler gewohnt, um diese Uhrzeit schon zu hause zu sein.

Suchte eher nicht so das Gespräch mit Jasmin, was offensichtlich auf Gegenseitigkeit beruhte. Steckte ihr wohl noch so tief der Schreck des Sturzes in den Knochen – ich dagegen, überlegte eher ob ich wohl noch etwas anderes, außer dem Kopieren, machen durfte.

Gewaltig schnell gingen die sechzig Minuten, der Mittagspause, vorbei. Mir kam es vor, als wären es nur fünf Minuten gewesen. Rasch gingen wir zurück zu unserem Arbeitsplatz, wo wir unsere restliche Zeit abarbeiteten.

Am liebsten wäre ich bei Dienstschluss vor Begeisterung der Dankbarkeit auf die Knien gefallen, wenn nicht Montag gewesen wäre und so die Arbeitswoche gerade erst angefangen hätte. So griff ich schnell zu meiner Jacke, die ich den ganzen Tag über meinen Stuhl gehangen hatte, und ging in einem zackigen Tempo nach hause, wo ich mich zunächst einmal auf mein weiches, bequemes, gemütliches Bett legen musste, war ich doch einfach so fertig, dass ich mich nur noch schlafen legen wollte.

Doch da klingelte es überraschend bei mir an der Wohnungstüre, was ich am Anfang eher an mir vorbeiziehen lassen wollte. Aber es entwickelte sich aus einem einfachen Klingeln in Windeseile in einen unaufhörlichern Kingelsturm, der mir letzten Endes so meine Nerven nahm, dass ich mich überredet fühlte, doch an die Wohnungstüre zu gehen.

Verwundert blickte ich drein, als ich die Türe geöffnet hatte. Hatte ich am Anfang noch damit gerechnet, mein Vermieter würde seine fällige Monatsmiete einfordern, sah ich nun meinen Vater vor mir stehen. Der es sich nicht nehmen lassen wollte, eine ausführliche Schilderung von meinen ersten Arbeitstag abgeliefert zu bekommen.

„Lass mich bitte mit diesem langweiligem Praktikum in Ruhe!“ machte ich meinen Vater unmissverständlich klar, wollte ich doch zu dieser Stunde eigentlich für mich alleine sein. Aber nichts desto trotz blieb mir eine weitere Rede meines Vaters nicht erspart. Was hatte er mir alles erzählt?! Dinge, die ich wirklich schon zur Genüge gehört hatte, und sicherlich nicht schon wieder vorgehalten bekommen wollte. Konnte ich doch meine Mutter mit zunehmender Dauer umso mehr verstehen, dass sie dem Ganzen ein Ende gemacht hatte, was mir am Anfang so noch nicht klar geworden war. Sehnte ich mich noch in meiner Jugend nach dem perfekten Familienglück. Und heute, da hatte ich gelernt auf Durchzug zu schalten. Da war das Gerede meines Vaters eigentlich nur noch halb so schlimm wie es sich anhörte. Wusste ich doch nur zu gut, je schneller er fertig war, desto schneller konnte mich letzten Endes ins Bett legen.

Nach dem erwachen aus meinen Gedanken war es auch schon soweit, mein Vater verließ die Wohnung. Ich fiel in mein Bett und schlief auch gleich ein.

Jasmin

Obwohl ich noch nicht einmal das erste Ausbildungsjahr hinter mich gebracht hatte, wollte ich nicht länger diesen Job machen. Hatte ich es doch schon schwer genug mit der mir zugewiesenen Arbeit, bekam ich nun noch von meinen Chef einen Praktikanten zugewiesen, mit dem ich absolut nichts anfangen konnte. Und das ich dem noch gleich an seinem ersten Tag das „Du“ angeboten hatte, war wirklich nicht die beste Idee von mir gewesen.

Es war mittlerweile schon dunkel geworden, als ich zu hause nach einem harten Arbeitstag ankam. Gehörte ich doch wieder zu den letzten, die die Arbeitsstelle verlassen durfte. Umso mehr freute ich mich darauf, nach einer heißen Dusche, mit Mona in der Altstadt einen drauf zu machen. Hatte ich in den letzten Monaten Mona zu sehr vernachlässigt, dass ich mir schon Sorgen um unsere Freundschaft machen konnte.

Spät war es, als ich geschafft aber überglücklich von meinen durchzechten Streifzug nach Hause kam. Was meine Mutter auf Anhieb nicht glauben konnte, war doch Disziplin das Hauptwort in ihrem Leben. Daher waren die Sorgen umso größer bei ihr, es könnte mir etwas passiert sein. Lag sie doch in ihrer Jugend um diese Uhrzeit immer schon im Bett.

Aber was konnte meine Mutter schon davon abhalten, mal nicht auf mich zu warten? Egal wie spät es war, sie ging erst dann ins Bett, wenn auch ich zu hause eingetroffen war.

„Wo warst du die ganze Zeit gewesen?“ Fragte sie mich, gleich nachdem ich die Haustüre aufgeschlossen hatte.

„Lass mir doch mal meinen Spaß!“ versuchte ich mich zu erklären.

„Du weist, dass du morgen wieder arbeiten musst!“ auf was ich wirklich keine Lust hatte, darauf eine Antwort zu geben.

Aber warum sollte ich meiner Mutter berichten, wie unbefriedigend es mir auf der Arbeit ging, was bei ihr andererseits vermutlich schon längst angekommen war. „Augen zu und durch!“ war ihr Motto, welches ich mit zunehmender Dauer, und mit zusehends schwindender Kraft, wahrscheinlich irgendwann gar nicht mehr durchhalten konnte. Also, warum sollte ich da noch auf meine Mutter hören. Ging da doch lieber gleich in mein Badzimmer, wo ich mich zunächst nur noch unter die Dusche stellen wollte.

Mit geschlossenen Augen genoss ich, wie das Wasser meinen nackten Körper berührte – ein Gefühl der innerlichen Befriedigung, wie ich es lange so bewusst nicht mehr erlebt hatte. Plötzlich öffnete ich erschrocken meine Augen, konnte ich doch wirklich nicht glauben, wie ich mit meiner Hand meine Busen streichelte. So, als hätte jemand hinter mir mit in der Dusche gestanden.

Entsetzt über mich selbst, verließ ich fluchtartig die Dusche, rannte nackt aus dem Badezimmer geradewegs auf mein Zimmer. Versteckte mich unter meiner Bettdecke, wo ich mich wie ein kleines Kind zusammenzog. Mit all meinen Tränen im Gesicht wurde mir da zum ersten Mal klar, wie sehr mich die letzte Zeit mitgenommen hatte.

Schnell hatte ich mich wieder ein wenig beruhigt, da zog schlagartig im nächsten Moment, mir jemand meine Bettdecke weg. Einer hilflos blickenden Mona schaute ich ins Gesicht, die im nächsten Moment absolut nicht wusste, wie sie auf mich eingehen sollte.

„Jasmin?“ flüsterte sie leise meinen Namen und setzte sich vorsichtig bei mir auf die Bettkante.

Sie streichelte sanftmütig mein Haar, bis ich meinen Kopf zu ihr in den Schoß legte, so dass ich mit meinen Brüsten ihre Knie berührte. Was Mona in der Situation total überforderte, hatte sie eigentlich nur ihren Haustürschlüssel bei mir liegen gelassen – war sie nun in einer Situation, der sie total blind gegenüber stand. Es verschlug ihr regelrecht die Sprache, was ich nicht wollte – ihr nicht antun konnte.

Schnell rannte ich in das Badezimmer zurück, zog mir mein altes T-Shirt und Slip an und setzte mich zurück zu Mona, die, seit sie vor zwei Jahren bei einem Rockfestival vergewaltigt wurde, zu einem sehr verschlossenen Menschen geworden war, den ich erst langsam wieder neu kennen lernen musste.

Mir war es mehr als peinlich, wie sehr ich Monas Gefühle geweckt hatte. Wollte ich sie anfangs noch nach Hause fahren lassen – konnte ich es nun wirklich nicht verantworten, sie alleine auf ihrem Zimmer, mit all ihren wirrten Gefühlen sitzen zu lassen. Aber Mona interessierte dies eher weniger. Sie wollte ihre Ruhe, ganz für sich alleine.

Mir tat Mona schon leid. Mir viel keine gelungene Erklärung ein, mit der ich aus dieser seltsamen Lage hätte wieder raus kommen können. Brauchte ich doch nur an unseren Praktikanten zu denken, der mir so extrem in meinen Ausschnitt gestarrt hatte, dass mir regelrecht die Angst durch die ganzen Körper schoss.

Noah

Am nächsten Morgen begann alles wie gewohnt. Immer derselbe Ablauf, wie am Vortag. Mein Wecker klingelte – ich stand auf – wusch mich – zog mich schnell an und ging wieder zu meiner Arbeitsstätte. Obwohl ich meiner Lust, nach am liebsten in meinem Bett liegen geblieben wäre, herrschte doch beim betreten der Bank ein weitaus unübersichtliches, geradezu tierisches Treiben, was ich zunächst nicht glauben konnte. Wusste ich doch ziemlich genau, dass der offizielle Dienstbeginn noch nicht begonnen hatte.

Von dem allem unbeeindruckt, begab ich mich zu meinem Arbeitsplatz, wo Jasmin schon eingetroffen war. Verwundert schaute sie mich an, auf was ich nicht recht zu reagieren wusste.

„Du bist zu spät dran!“ machte mir Jasmin unmissverständlich klar, was ich im ersten Augenblick eher als einen Scherz empfand.

Was konnte ich schon dem Arbeitseifer einer Jasmin entgegensetzen. Ging es nach ihren Arbeitskollegen, wäre ich nun beim Frühstück, inmitten einer lebenslustigen Unterhaltung, auf welches Jasmin offensichtlich nicht den geringsten Wert legte. Was ich schweigend zur Kenntnis nahm. Wollte ich mir doch wirklich nicht meine gute Laune nehmen lassen.

Trotzdem, so länger ich Jasmin beobachtete, desto mehr Unsicherheit stieg in mir auf, und ich konnte einfach nichts dagegen tun. Und das alles an einem Tag, der erst angefangen hatte.

So zog ich es lieber vor, meine Arbeit fortzusetzen und einer Jasmin besser aus dem Weg zugehen, was wirklich die beste Idee gewesen war, denn lange dauerte es nicht, bis unser Chef vor Jasmin stand. Mit einem Gesichtsausdruck dem, auf der Skala der Unhöflichkeit, ich eine 9,9 von 10 möglichen Punkten gegeben hätte.

Was für ein Tag. Was für ein Morgen, an dem so ein Theater gespielt wurde. Ein Chef, der Jasmin so herunter machte – das man ihr die Hilflosigkeit mehr um mehr anzusehen konnte. Was mich erstaunlicherweise wirklich unberührt ließ, kein Grund der Panik bei mir auslöste. Hatte Jasmin wohl ihre Arbeit nicht so gemacht, wie sie sie eigentlich hätte machen sollen, oder? So genau wusste ich es auch nicht. War es doch erst mein zweiter Tag, in der harten Arbeitswelt, in der ich schon die Erkenntnis gewonnen hatte, anstatt groß die Klappe aufzumachen, sich lieber schweigend seine Arbeit zu widmen.

„Kommst du mit in die Stadt?“ fragte ich Jasmin, wollte ich doch nicht die Mittagspause alleine verbringen.

Verwundert schaute sie mich an, war sie noch im Geist so in ihre Arbeit vertieft, dass mich ihre Mimik, als sie den kurzen Moment in dem sie zu mir aufschaute, an schlechtere Zeiten erinnerte. Wortlos richtete sich ihr Blick wieder auf den Schreibtisch.

„Jasmin, ich rede mit dir!“ wiederholte ich mich nach einer kurzen Bedenkpause. Und nichts geschah.

Schweigen trat ein. Es war einer dieser dummen Situationen, wo man sehnsüchtig auf eine Antwort gewartet hatte. Aber wer machte da den ersten Schritt? Sie? Ich?

Jasmin sagte kein Wort, schaute mich unterdes so an, als wolle sie mir die Pistole auf die Stirn drücken. Zu meinem Erstaunen stimmte sie doch noch zu. So gingen wir gemeinsam, nach all dem Stress am Vormittag, in die Mittagspause, in die es Jasmin sprichwörtlich wie ein Magnet zog.

Wir verließen die Bank in einen heißen Sommertag. Suchte, und fanden, und genossen ein kühles Bier, welches ich in meiner Hand hielt.

In einem kühlen Sommerwind saßen wir in einem gemütlichen Café, ganz im Herzen der Altstadt. Und dort sah ich eine Jasmin mir gegenübersitzen, mit der ich allmählich wesentlich leichter ins Gespräch kam. Was von der Situation recht schön war, aber leider alles andere als informationsreich. Egal, worauf ich Jasmin auch ansprach, ob die Familie oder das Wochenendeleben – eher erfolglos, kam ich zu keinem rechten Ergebnis - nichts von dem hatte Jasmin interessiert. Kein klares, präzises Wort welches mir ein Schluck aus meinen Glass vereinfacht hätte.

Die Mittagspause verging schneller als ich glauben konnte und so mussten wir wieder zurück zur unseren Arbeitsstelle.

Zurück in der Dienststelle angekommen, blickte ich völlig ratlos auf eine, wie automatisiert arbeitende Jasmin, die sich immer mehr in ihre Gedanken zurückzog. Was sollte ich denn da noch machen? Kam ich mir doch langsam so vor, wie ein Schwerverbrecher, der an ihrer schlechten Lage schuld sein sollte.

Als ich mich am Freitagnachmittag, auf den Nachhauseweg befand, musste ich mit einem Blick in den Geldbeutel ziemlich schnell feststellen, dass an meinen Vater kein Schritt vorbei führte. So sehr ich ihn auch hasste, konnte ich wirklich nicht zu meiner Mutter gehen.

Ich wusste gleich wo ich meinen Vater auffinden würde, war doch die Arbeit schon so etwas, wie sein zweites zu hause.

Als ich, bei seiner Arbeitsstätte, durch die Eingangstüre trat, schaute mich der Pförtner mit einen aufgespielten Lächeln an, als wolle er mir sagen: „Du kommst hier nicht rein!“. Du Arschloch, dachte ich mir, saß doch letzten Endes mein Vater am längerem Hebel.

„Was ist mit dem Geld?“ fiel ich ihm gleich ins Wort, nachdem ich zügig den Raum betreten hatte. Da war mir sein laufendes Telefongespräch eher nicht so wichtig, da konnte mich mein Vater noch so giftig anschauen, mir war es völlig egal welch eine wichtige Person auf der andere Seite der Leitung war. Der die Stirn meines Vater so verzog, dass er mir schon richtig sympathisch war, mit anzusehen, wie mein Vater im nächsten Moment das Gespräch völlig entnervt abdrückte, was mir einerseits innere Genugtuung gab, mich andererseits an die letzten Ehetage meiner Eltern erinnerte.

Mit versteinertem Blick schaute er mich an, war ihm doch deutlich anzusehen, dass er selbst nicht wusste, wie er mit der Situation umgehen sollte. Inwiefern er, sich mir gegenübertreten behaupten sollte. War ihm noch am Anfang nicht klar, warum ich überhaupt zu ihm gekommen war, zuckte er im nächsten Moment, ohne einen weiteren Kommentar zu verlieren, sein Geldbeutel zum Vorschein, und vernichtete mit einem Schlag meine Unterhaltsprobleme. Da war es mir auch egal, dass er mich gleich wieder aus seinem Büro beförderte, hatte ihn doch das Telefongespräch anscheinend sehr mitgenommen.

„Du, Noah, vorhin war Jemand hier gewesen, der sich nach dir erkundigt hat!“ machte mich mein Vermieter darauf aufmerksam, als ich gerade dabei war meine Wohnungstüre aufzuschließen versuchte.

„Wer war es denn?“ fragte ich verwundert nach. War ich es doch nicht gewohnt Besuch zu bekommen. Eine Frage, auf die mir mein Vermieter jedoch leider keine Antwort geben konnte.

„Hat er mir eine Nachricht hinterlassen?“

„Das auch nicht!“

Das war eine super Nachricht mit der ich überhaupt nichts anfangen konnte. So schlug ich, ohne einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, die Türe hinter mir zu. War ich doch so müde, dass ich nur noch schlafen wollte.

Im Bett liegend, trat schnell bei mir eine innere Ruhe ein, die ich normalerweise so rasch nicht gewohnt war. Keine Musik, kein summender Computer – rein gar nichts von dem war zuhören. Leise sprach ich mit mir selbst: “Ich habe meine Ruhe von der Schule, meinem Beruf und meinem Vater. Einfach Ruhe von jedem. Vor jeder Gott verdammter Sau!“. Einzig, der angenehme Geräuschpegel der am Haus vorbeifahrenden Autos, schleichende Fußgänger, singende Vögel, dem pfeifenden Wind und das Rauschen der Bäume, die solch eine Monotonie erzeugten, die mich im Lauf meiner Gedanken all meine Zweifel und Ängste vergessen lies. Bis zu jenen Zeitpunkt, als es plötzlich total unerwartet bei mir an der Wohnungstüre klingte. Und alles wieder ein Ende hatte.

„Jasmin, du hier?“ mit der ich am wenigsten gerechnet hatte.

„Ich wollte dich mal besuchen kommen!“ gab mir Jasmin mit ihrem liebenswerten Lächeln zu verstehen. Ein Lächeln, bei dem ich trotz meiner etwas leichten, bettgerechten Kleidung, nicht umgehen konnte, sie in meine Wohnung zu bitten. Wenn man das überhaupt als eine Wohnung bezeichnen konnte. Sah es doch da gerade so bei mir aus, als wäre eine Bombe bei mir explodiert. Kleiderstücke und Essensreste die überall herumlagen, was Jasmin eher nicht die Stimmung nahm.

„Schön hast du es hier!“ sagte sie, was ich zunächst nicht glauben konnte.

„Meinst du das wirklich?“, die Verwunderung musste mir eigentlich im Gesicht gestanden haben.

„Ja wirklich!“

Jetzt schlug es bei mir sprichwörtlich „dreizehn“, hatte ich doch noch die ermahnenden Worte meiner Mutter aus vergangen Tagen im Gedächtnis.

Am Anfang fühlte ich mich durch Jasmins Besuch ein wenig überrumpelt. Denn mit ihr hatte ich wirklich am wenigsten gerechnet. Aber was sollte ich tun? Ich konnte sie ja nicht einfach so aus meiner Wohnung schmeißen!

Einen kurzen Moment geschah nichts. Wir schauten uns gegenseitig nur stumm an. Den Rücken an die Wand gelehnt, hockte ich mit stark angewinkelten Beinen auf meinem Bett. Jasmin setzte sich vorsichtig vor mir auf die Bettkante, sodass ich mit meinem Blick ihren Rücken traf.

Sie drehte sich schnell zu mir nach hinten um, und funkelte mich für einen kurzen Moment so liebeshungrig an, dass ich mich am liebsten auf sie geschmissen hätte. Eine Situation, der ich nicht Herr war. Eine Situation, aus der sich Jasmin schnell wieder zurück in ihr Innerstes zog. Ein Gesicht dabei aufsetzte, in dem ich sie nicht wieder erkannte, mir regelrecht Angst machte.

„Sei mir nicht böse, aber ich habe in der Stadt noch etwas zu erledigen!“ waren ihre Worte, die ich unvermutet etwas traurig entgegennahm.

Jasmin

Schnell hatte ich Noahs Wohnung verlassen, machte er doch auf mich nicht gerade den Eindruck, als wolle er mich noch länger bei sich behalten. Wollte ich doch nur einfach mal „Hallo!“ sagen. Eigentlich, weis ich nicht so recht, was ich genau bei Noah wollte. Vielleicht lag es an meiner Mutter, die mich so sehr zu hause genervt hatte, dass ich wirklich aus dem Haus raus musste.

Ich konnte es einfach nicht mehr hören. Meine Mutter, sie wollte es nicht wahrhaben, dass mein Vater sie verlassen hatte. Dabei hatte sie doch mehr ihn zur Scheidung gedrängt.

„Vater, was machst du hier?“ Konnte ich es irgendwie nicht verstehen, dass ich zu dieser späten Stunde noch meinen Vater in der Stadt traf. War er doch in diesem Zusammenhang eher ein Sonderling. Was bei seinem Beruf – in seiner Position nie üblich war.

Meinem Vater fiel es schwer auf mich zuzugehen. War doch der Streit zwischen ihm und meiner Mutter, ihm zu sehr unter die Haut gegangen, dass er nun mehr Angst hatte, ich würde mich von ihm wegdrehen. Gefühlsvoll umarmte ich meinen Vater, was ihm sehr viel Last von seinen Schultern nahm, und ihm gleich einen neuen Weg zeigte.

„Wie geht’s dir?“ erkundigte sich mein Vater mit stark zitterte Stimme bei mir und lud mich spontan zum Italiener ein, der sich nur wenige Meter von uns befand. Welche ich, auf Grund der drastisch nachlassenden Kochlust bei meiner Mutter seit dem Auszug meines Vaters, dankend annahm.

Ein reges Treiben empfing uns zu dieser späten Abendstunde im Lokal, so dass der Bekanntheitsgrad meines Vaters sich als förderliche erwies und uns somit noch tatsächlich ein freier Tisch angeboten werden konnte.

Schnell hatten wir uns an den Tisch gesetzt, da wurde uns von einem charmanten, gut gekleideten Italiener die Speisekarte überreicht. Wenn er sich seinen lockigen Vollbart mal abrasiert hätte, er vielleicht interessant für mich gewesen wäre.

Zuerst bestellt mein Vater für uns beide eine Flasche Rotwein. Ein Ritual, das er normalerweise früher immer mit meiner Mutter geteilt hatte. Die gemeinsamen Essen beim Italiener, die eigentlich schon eher wie ein fester Bestandteil ihrer Ehe waren. Hatten sie doch hier so zahlreiche Abende diskutiert, was beide sehr gerne taten. Was nun aus und vorbei war. Ein Schmerz, den man meinem Vater schon ansah, bevor er den ersten Schlug genommen hatte. Meine Mutter hatte in diesem Zusammenhang nie Zeit für mich, spielte doch ihr Beruf, bei ihr immer die wichtigere Rolle. Was meinem Vater nie in den Sinn gekommen wäre, er las mir sprichwörtlich meine Sorgen von den Lippen ab, bevor ich überhaupt mal was sagen konnte. Gab er mir doch mit seiner Art von Humor das Gefühl von Geborgenheit, eben dass, was ich zurzeit am meisten brauchte.

Es verging eine geraume Zeit, bis wir unser Essen an den Tisch serviert bekamen. Eine Dauer, in der ich eher stillschweigenden meinen Vater beobachtete, gab doch seine Person mir die Ruhe, die, all den Trubel, der um mich herum herrschte, schlagartig vergessen ließ.

„Wie geht es deiner Mutter?“ beendete mein Vater schlagartig sein schweigen, womit ich eher nicht so abrupt gerechnet hatte. Hatte ich doch zu diesem Zeitpunkt meine Aufmerksamkeit mehr auf mein Essen, als auf meinen Vater gerichtet.

„Wie meinst du dass?“, fiel es mir doch recht schwer diese Frage richtig einzuordnen, ging ich doch eher davon aus, er hätte sie verlassen.

„Ich denke, du hast sie wegen einer anderen Frau verlassen?“ Fragte ich total verwirrt, wie von all Sinnen nach, was Vaters Gesichtsfarbe entschwinden ließ.

„Hat dir Mutter nicht davon erzählt?“ hakte er mit zitternden Händen nach einer langen Bedenkpause nach, in der wir uns eher nur stillschweigend gegenseitig anstarrten.

„Was soll Mutter mir erzählt haben?“ wusste ich doch nur zu gut, was ich abends am Weiher gesehen hatte.

„Das sie einen neuen Mann in ihrem Leben gefunden hat!“ Was ich eher nicht glauben wollte. So sehr ich meinen Vater liebte, war ich hin und her gerissen, wer nun im Recht war.

„Vater, lüg mich nicht an! Ich habe dich doch mit deiner neuen Liebe im Ruderboot auf dem Weiher gesehen!“

„Ich glaube du irrst dich da! Dass war nur eine gute Freundin von mir, die ich schon länger kenne!“ was mein Vater mir mit einer Art klar machte, die ich bestimmt nicht als aufgesetzt beschreiben konnte.

Verwirrt – geschockt, im Rausch meiner Gedanken, hatte ich nicht die Kraft meinem Vater weiterhin in die Augen zu schauen – seine Anwesenheit noch länger zu ertragen. Rasch, getrieben von all meinen Gedanken rannte ich in meiner Angst gefangen, raus aus dem Restaurante – weg von meinem Vater, der sich sprachlos, nur mit einem leichten Nicken, von mir verabschiedete. Nicht versuchte mir zu folgen.

Er wusste, wie er auf mich eingehen musste, und aß doch lieber seine Pizza weiter. Mit all meinen Tränen im Gesicht, rannte ich zurück nach hause, wo ich nur noch für mich alleine sein wollte.

„Was ist mit dir passiert?“ Fragte mich besorgt meine Mutter, die mit meinem Gewimmer, das durch das Haus ging, unvermeidlich konfrontiert wurde.

Führsorglich setzte sie sich zu mir, streichelte liebevoll mein Haar, was mir so fremd war. So sehr meine Mutter in ihrer Führsorglichkeit mich erzogen hatte, fühlte ich nur kalte fremde, was mir die Sprache nahm, meinen Gliedern jegliche Regung nahm. Auf was meine Mutter keine Antwort fand.

„Was ist los mit dir, mein Kind?“ wusste sie wirklich nicht, wie sie mit mir umgehen sollte.

„Geh bitte!“ schrie ich sie voller Verzweifelung an. Immer und immer wieder, bis sie endlich, ohne ein weiters Wort zu verlieren mein Zimmer verließ, was ich mit großer Erleichterung zur Kenntnis nahm.

So zerreißend der Tag für mich auch war, war ich froh darüber, als ich endlich einschlief. Doch plötzlich, spät in der Nacht, klingelte mich schlagartig mein Telefon aus meinen Träumen.

Wer war es, der jetzt noch was von mir wollte? Mein Vater! Denn er hatte dieses Gewissen, das jede Zeit vergessen ließ.

„Hey Jasmin, wie geht’s dir?“ auf was ich irgendwie nicht eingehen konnte. Was sollte ich sagen?

„Was willst du?“ Meine Stimme bebte, konnte ich doch eine gewisse Begeisterung nicht verbergen.

„Ich wollte wissen, wie es dir geht?“ fragte er mich sehr erfreut, war es doch eher so, dass ich ihm die letzten Wochen aus dem Weg gegangen war. Hatte ich doch meine Zeit gebraucht, die schlecht laufende ehemalige Beziehung mit Alexander zu vergessen, dessen Art mir nun wie gerufen kam. Nahm er mir doch die Last von den Schultern.

Noah

Am nächsten Morgen in der Bank angekommen, machte Jasmin zu meiner großen Verwunderung, einen sehr niedergeschlagenen, abweisenden Eindruck auf mich. Hatte ich ihr etwas angetan, das sie mich gleich so in Empfang nahm? Oder wurde Jasmin wieder mal von ihren Kollegen so unter Druck gesetzt? Ich wusste es nicht! Hatte keine Ahnung, was mit ihr los war. Über was ich allerdings auch nicht weiter nachdenken wollte. Es ging mir eher am Arsch vorbei. Sollte sie sich doch mit ihrer Selbstzerstörung alleine beschäftigen.

Aber was hatte Jasmin in mir bewegt, dass ich dies nicht ertragen konnte? Die Mühlen meiner Gedanken langsam in Lauf brachte. Aber was konnte ich schon gegen Jasmins Lage tun? Saß sie doch im Mittelpunkt des Geschehens – in einem Meer von Menschen, die sich, verteilt in ihren kleinen Arbeitsgruppen, so positioniert hatten, dass sie Jasmin jederzeit in ihrem Kaffeeklatsch beobachten konnten. Und ich, ich saß mit einem flauen Gefühl im Magen da, und wusste wirklich nicht was ich machen sollte.

Ich nur noch Hass gegen all jene Menschen, empfand, die dort saßen. Auf der anderen Seite, empfand ein gewisses Mitgefühl, welches ganz Jasmin galt.

Wie gern hätte ich sie in den Arm genommen – ihr Trost gescheckt. Aber was war? Konnte ich doch, aus lauter Respekt der Menschenmassen gegenüber, mich keinen Zentimeter bewegen.

Kaum zeigte meine Armbanduhr an, dass der heutige Arbeitstag langsam seinem Ende entgegen ging, packte ich sowie Jasmin schnell unsere Sachen zusammen und waren weg. Was mich von Jasmins Seite ein wenig verwundert hatte, war sie es doch immer die, die von uns beiden bis in die späte Nacht noch weiterarbeitete.

Während ich mich auf den Nachhauseweg machte, spielten sich meine Gedanken rundum Jasmin. Was ich nicht mehr so kontrollieren konnte, wie es mir lieb gewesen wäre.

Was ging in mir vor? Von was wurde sie so getrieben?

„Jasmin?“ sprach ich sie vorsichtig an, konnte ich es doch zunächst nicht glauben, dass sie da, auf der Parkbank saß. Und sie, sie schaute mich mit einen tränen überflossenem Gesicht so an, dass ich sie kaum wieder erkannte.

Schockiert setzte ich mich neben ihr auf die Bank, legte vorsichtig meinen Arm um ihre Schulter. War ich mir doch nicht sicher, was ich dort tat.

Es dauerte lange, bis Jasmin sich wieder ein wenig beruhigt hatte. Sie mein Mitgefühl zwar annahm, aber für mich nur schwer nachzuvollziehen war, schließlich kannten wir uns so lang auch noch nicht.

Was konnte ich dagegen tun? Wusste ich doch ganz genau, was los war.

„Vielleicht sollte ich mal zu deiner Mutter gehen?“

„Was hat die denn damit zu tun!“ War ich doch der letzte Mitarbeiter, der noch nicht verstanden hatte, welch eine Stellung Jasmins Mutter im Unternehmen hatte.

Schnell wurde ich von Jasmin aufgeklärt – rasch wurde mir klar, welch ein Spiel hier lief.

„Ich glaube, die Idee wäre nicht so gut?“ gab ich meine Bedenken frei, wusste ich doch ganz genau, dass es so nur noch schlimmer werden würde.

„Wieso, die Idee wäre doch gar nicht so übel!“ widersprach mir plötzlich Jasmin, und sah mich dabei so an, als wäre das die Lösung für ihr Problem, auf was ich sie nur lange schweigend ansah.

„Versuchen könnte ich es wenigsten mal!“ brach sie mit recht verzweifelter Stimme das Schweigen. Hatte sie wohl aus meiner Reaktion sich denken können, dass das nicht den größten Sinn hatte.

„Was ist den mit deinem Vater?“ wechselte ich genervt das Thema.

„Meine Eltern, sie leben in Scheidung!“ auf was ich erstmal schlucken musste, war ich doch feste der Annahme, dass ich derjenige war, der ein zerstörtes Familienleben vorweisen konnte. Aber, dass das jetzt schon die Regel der Gesellschaft war, das hatte mich echt auf dem falschen Fuß erwischt.

Ich beobachtete genau Jasmin. Versuchte zu verstehen, was in ihr vorging. Aber was sollte ich so verstehen? Wie würde ich es überhaupt verstehen?

Aufmunternd führte ich Jasmin ins uns all sei bekannte Cafe, dass in den letzten Tagen, uns in den Mittagspausen so in seinen Bann gezogen hatte. War doch das die letzte Möglichkeit, Jasmin wieder auf andere Gedanken zubringen.

In der kürze der Zeit, die wir da saßen, entwickelte sich zwischen uns ein Gespräch, dessen Ansätze sich bis dahin, schleppend entwickelten. Und ich, ich hörte Jasmin bei dem Grund – über die Vorkommnisse zwischen ihren Eltern zu. Trank dabei mein Getränk und versuchte mich in die Lage zweier Menschen zu versetzen, die ihren eigentlichen Mittelpunkt des Lebens, rein in ihr berufliches Bestreben gelegt hatten. Was mir, aus meiner Lage nicht allzu schwer nachzuvollziehen fiel.

Wir waren beiden doch Einzelkinder, die mehr als Last, als ein Glück gesehen wurde. Aber was konnte – wollte – sollte ich da noch machen?

Gedanken, die mir sehr vertraut waren. Worte, die ich im bei sein von Jasmin niemals aussprechen wollte, war doch die Peinlichkeit einfach zu groß, als dass Jasmin jetzt klar zumachen, in welchen Verhältnissen ich lebte.

Nach zahlreichen Getränken und ein letztlich Endendem harmonischen laufendes Gespräch, begleitete ich Jasmin noch nach Hause, wo sie sich herzhaft dankend von mir verabschiedete.

Als ich am nächsten Morgen an meinen Arbeitsplatz eintraf, traute ich meinen Augen nicht, war doch Jasmins Platz unbesetzt. Sie sei krank, teilte unser Chef mir kurze Zeit später mit. Von was ich mir selbst ein Bild machen wollte. Und so machte ich mich gleich nach der Arbeit auf zu Jasmin.

An Jasmins Elternhaus angekommen musste ich erstmal tief Luft holen. Im prallen Sonnenlicht stand dort ein Gebäude, dessen großräumige Gartenanlage ein gläsernes Gebäude umfasste, welches die Stromversorgung des Hauses durch Gewinnung und Speicherung von Sonnenenergie mit Hilfe von Solarplatten garantierte. Mehr als beeindruckt, ging ich langsam die Eingangstreppe hinauf und stand vor einer prunkvollen Haustüre, wo ich auch schon gleich klingelte, und mir nach nur kurzer Zeit des warten, geöffnet wurde.

„Ist Jasmin zuhause?“ erkundigte ich mich bei einer Frau, deren Erscheinungsbild dem des Hauses entsprach.

„Wer bist du?“ fuhr sie auch fort, hatte sie mich doch bis dahin noch nie gesehen.

„Noah!“ stellte ich mich ihr mit ausgestreckter Hand vor.

„Ich habe schon von dir gehört. Du arbeitest doch mit ihr auf der Bank?“

„Ja, wir sitzen zusammen an einem Platz.“ Klärte ich sie auf.

„Und wie gefällt es dir?“ frage sie mich gespannt.

„Gut!“ was hätte ich ihr auch sonst antworten sollen.

Rasch führte sie mich durch das großräumige Erdgeschoss, hinauf in den zweiten Stock, bis vor Jasmin Zimmertüre, wo sie mich auch alleine ließ. Zweimal klopfte ich an Jasmins Türe und trat in den Raum ein, in dem Jasmin gerade mit einem weißen T-Shirt und einer schwarzen Jogginghose bekleidet, auf ihrem Bett saß und ein Buch lass, als ich ihr gegenüber trat.

„Was machst du denn hier?“ Fragte eine sichtlich angespannte Jasmin.

„Ich wolle mal sehen, wie es dir geht?“ hakte ich sichtlich unbeeindruckt nach.

„Das ist aber süß von dir!“

Erwartungsvoll legte Jasmin ihr Buch bei Seite. Ich setzte mich neben ihr. Liebevoll schaute sie mich an. Was ging ihr in diesem Moment wohl durch den Kopf? Was für ein Mensch saß da neben mir?

Schlimm sah sie aus. Ein kreidebleiches Gesicht – was mich schon sehr beängstigt hatte.

„Was ist los mit dir, Jasmin?“ Erkundigte ich mich vorsichtig bei ihr. Sah ich doch einer Frau gegenüber, die nach meiner Meinung, so ziemlich mit ihren Nerven am Ende war.

„Noah, du verstehst mich nicht?“ Konterte sie in einem direkten Ton.

„Wie darf ich das jetzt verstehen?“

Stille trat in den Raum. Jasmin viel es schwer, sich auf diese Situation einzustellen. Was hätte ich ihr auch sonst sagen sollen?

„Geh doch einfach zu deiner Mutter und mach ihr die Lage klar?“ machte ich ihr in einer leicht verständlichen Art die Lösung zum Problem verständlich.

„Und was dann?“ versuchte sie sich zu erkundigen. „Denkst du, dann wäre die Sache vom Tisch?“ nun wurde sie mehr als deutlich.

„Bestimmt!“ gab ich frohkundig von mir, war ich doch fest der Annahme, Jasmin überzeugt zu haben.

Hatte in der Vergangenheit Jasmin sich so in ihrer eigenen Welt zurückgezogen, legte sie im nächsten Moment argwöhnisch ihr Buch zu Seite und klopfte genervt mit ihren Händen auf ihre Oberschenkel. Stoppte kurz. Überlegte, und sagte: „Wenn das so schnell ginge, als wenn man es sich Wünsche würde!“ und klopfte stattdessen unbeeindruckt weiter. Ein Spiel, in welches ich mich nicht hineinversetzen konnte.

„An was denkst du?“ Erkundigte ich mich nach langem bei einer wie vor klopfenden Jasmin, die mir so langsam auf die Nerven ging.

„Das weis ich selbst nicht… das weis ich wirklich nicht!“

„Glaubst du nicht, dass deine Mutter dir helfen würde?“ sprach ich zu einer Jasmin, die im nächsten Moment ihre Schlagzahl erhöhte.

„Irgendwie schon!“

„Wie genau, meist du dass?“

„Wie würde das wohl aussehen, wenn bekannt werden würde, dass meine Mutter für mich ihre Hände ins Feuer legen würde?“

„Das verstehe ich nicht!“ zuckte ich mit den Schultern. Stöhnte kurz auf und fuhr nach einer kurzen Bedenkpause fort: „Kannst du mir das mal bitte erklären?“

„Was soll ich dir da erklären? Schau dich doch hier nun mal um, denkst du dies hier alles, kam nur aus pure Mutterliebe zustande!“

„Du hast sie nicht mehr alle!“ hakte ich Jasmin ins Wort, konnte ich sie doch wirklich nicht mehr für ernst nehmen.

Schnell trat Stille ein. Festgefahren hatte sich diese Situation, in der jeder noch so viel zusagen hatte. Aber hatte das hier noch alles einen Sinn von meiner Seite? Ich hielt lieber meine Klappe und dachte mir meinen Teil dabei.

„Möchtest du etwas trinken?“ frage mich plötzlich Jasmins Mutter, die unterwartet ins Zimmer kam.

Und diese Frau, sollte die Fähigkeit besitzen, über Leichen zugehen? Diese Vorstellung was irgendwie absurd.

Jasmin

Gerade hatte ich mich an Noahs Anwesenheit gewöhnt, war er auch schon wieder gegangen. Aber irgendwie wurde ich aus diesem Menschen nicht schlau. Wie kam ich zu dieser Ehre, dass er sich so um mich bemühte?

Kaum hatte ich mich bei meinen Arbeitgeber krank gemeldet, stand Noah schon bei mir vor der Haustüre. Und nun war er wieder weg? Irgendwie kam ich mir schon dumm vor, hatte ich mich doch sehr über seinen Besuch gefreut, war er doch beste Abwechselung zu meinem häuslichen Stress, mit meiner Mutter.

Kaum hatte Noah das Zimmer verlassen, wollte ich einfach in meinem Buch weiter lesen, welches ich nach Noahs Eintreten auf das Bett gelegt hatte.

Als wenig später meine Mutter in mein Zimmer eintrat, konnte sie am Anfang nicht glauben, dass Noah schon gegangen war.

„Wo ist Noah hin?“ Fragte sie verwundert nach.

„Der ist schon nach Hause gegangen!“ gab ich ihr schnell zu verstehen, ohne ihr dabei ins Gesicht zuschauen. Ein Rückzieher, den ich schon den ganzen Tag vorgezogen hatte, hatte mir doch die letzte Begegnung mit meinem Vater so sehr im Hinterkopf gelegen, dass ich mich mehr um mehr von meiner Mutter distanzierte. Jedem Gespräch, mit ihr aus dem Weg ging. Wie denn auch, was hatte ich meiner Mutter schon in beruflicher Sicht großartig zu verheimlichen, stand sie doch im ständigen Kontakt mit meinem Chef. Und ein anderes Gesprächsthema interessierte meiner Mutter da weniger bis gar nicht! Also, warum sollte sie noch länger in meinem Zimmer bleiben?

Ich hatte noch nicht einmal damit begonnene die angefangene Seite meines Buches fertig zu lesen, da klingelte auch schon mein Telefon.

„Was willst du?“ Fragte ich verwundert Alexander, mit dem ich zu diesem Zeitpunkt am wenigsten gerechnet hatte.

„Ich wollte wissen, wie es dir geht?“ hackte er einem kurzen Schockmoment nach, wollte er es doch nicht wahrhaben, wie ich mit ihm sprach.

Und von da an – ich weis nicht, wie es Alexander geschafft hatte, mich mit all seinem Scham in ein Gespräch zu verwickeln. Mit all dem Stress, der Vergangenheit, war ich doch wirklich zu nichts zu gebrauchen. Was mir umso mehr an die Substanz ging – ich Probleme damit hatte, damit klar zukommen.

Nach diesem Telefongespräch, war ich wirklich nicht in der Lage, weiter in meinem Buch zu lesen. Versuchte eher auf dem Bett liegend meine Gedanken nun zu ordnen.

Welche Fragen machte mir so zu schaffen, dass mir so unkontrolliert mein Herz raste. Meine Hände nur so zitterten brachte.

Schnell zog ich mich an, wollte ich doch nur noch raus aus diesem Haus, in die frische Luft hinein, abseits von dem allem.

An der Bushalte Stelle angekommen, atmete ich erstmal tief durch, als ich in dem losfahrenden Bus saß, war es mir bewusst, auf welchem Weg ich war.

Noah

Schnell zuhause angekommen, konnte ich es kaum erwarten, mir etwas Trinkbares aus dem Kühlschrank zuholen, bevor ich meine Füße hochlegte, war ich doch wirklich so geschafft von diesem Tag, als ich jetzt noch irgendwas machen wollte. Da war es mir egal, ob mein Vermieter bei mir wieder mal Sturm klingelte. Der Alte konnte mich mal! Sollte er sich mal in meine Lage versetzen, dann hätte er es wohl verstehen können, dass ich diesmal meine Musikanlage ein wenig mehr aufdrehte als sonst.

Als ich am nächsten Morgen auf den letzten Drücker auf meiner Arbeitsstelle ankam, musste ich erstmal tief Luft holen, bevor ich mich auf meinem Platz niedersetzte. Und im nächsten Moment tief enttäuscht wurde. Wo war Jasmin? War sie immer noch krank? Das konnte sie mir doch nicht antun! Immer wieder ging mir dieser Gedanken durch den Kopf.

Wie heißt es so schön, geteiltes Leid, ist halbes Leid, was an diesem Tag wirklich etwas gebracht hätte. Bekam ich doch so langsam Jasmins Rolle gut geschrieben.


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