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Erzählung

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Eine Geschichte ist eine „Schilderung von Ereignissen“

Rotkäppchen geht in den Wald, trifft den Wolf, nimmt eine Abkürzung zum Haus der Großmutter, sieht den Wolf wieder sagt: Was hast du für große Zähne“, und der Jäger kommt und schneidet dem Wolf den Bauch auf. Eine Schilderung von Ereignissen ist die schlichte Wiedergabe oder Nacherzählung von etwas, das entweder in der „realen“ oder in einer fiktionalen“ Welt passiert ist. Die Geschichte von Rotkäppchen ist eindeutig eine Schilderung von Ereignissen. Ebenso handelt es sich um eine Schilderung von Ereignissen. Ebenso handelt es sich um eine Schilderung von Ereignissen, wenn der alte Mann sich aufmacht, um den großen Fisch zu fangen, oder wenn Michael Corleone sich aufmacht, um die Feinde seines Vaters zu töten, oder wenn Leamas, der Spion, in die Kälte hinausgeht. Jede Geschichte ist eine Schilderung von Ereignissen.



Betrachtest Du einmal die folgende Schilderung von Ereignissen, Joe springt aus dem Bett, zieht sich an, packt einen Imbiss ein und steigt in sein Auto. Er fährt einige Straßen weiter zur Wohnung seiner Freundin und holt sie ab. Sie heißt Sally. Sie fahren an den Strand und liegen den ganzen Tag im warmen Sand. Am Abend essen sie feine Meeresfrüchte. Auf dem Heimweg halten sie an und kaufen sie ein Eis. Dies ist eine Schilderung von Ereignissen, aber ist es auch die Geschichte.

Die meisten Leser würden instinktiv spüren, dass es keine ist.

Der Grund dafür ist, dass die Ereignisse nicht lesenswert sind.

Die Ereignisse müssen interessant sein. Was soll`s, wenn Joe mit zu Abend essen? Die hier geschilderten Ereignisse haben keine Bedeutung, weil sie keine Folgen haben. Wenn wir eine Geschichte als „Schilderung von Ereignissen“ definieren, sind wir mit unserer Definition nicht weit genug gegangen. Wir müssen hinzufügen: eine „Schilderung von folgenschweren Ereignissen“.

Aber ist das alles?


Was würdest Du davon halten, wenn ich dir von den Leiden und Qualen eines Gummibaums erzählte, der beschnitten wird. Oder von den Widrigkeiten, denen ein Motorboot ausgesetzt ist, dass sich den Kongo hinauf kämpft. Kein Interesse? Es wäre nur interessant, wenn der Gummibaum oder das Motorboot menschliche Eigenschaften hätten.

Zu einer Geschichte gehören also nicht nur folgenschwere Ereignisse, sondern folgenschwere Ereignisse, an denen menschliche Figuren beteiligt sind. Und zwar nicht irgendwelche menschliche Figuren, sondern solche, die unsere Aufmerksamkeit verdienen. Niemand möchte etwas über Figuren lesen, die einfach irgendwer sind. Man möchte über interessante Persönlichkeiten lesen, über Figuren, die in der Lage sind, im Leser gewisses Maß emotionalen Reaktion auszulösen.



Die spannende Geschichte

In einer spannenden Geschichte, und das ist die einzige lesenswerte Art von Geschichte, müssen die Figuren kämpfen. Natürlich kannst Du eine Geschichte schreiben, in der die Figuren leiden und allerlei erleben, sich jedoch passiv verhalten, indem sie nichts tun, um ihre Probleme zu lösen. Wenn sich dies Figuren infolge der Mühsal, die ihnen auferlegt ist, verändert, dann ist eine solche Schilderung von Ereignissen zwar eine Geschichte, aber keine spannende Geschichte entsteht. Ein Leser mag zwar angesichts der Notlage einer Figur Mitleid empfinden, doch eine wirkliche Identifikation, bei der der Leser sich selbst vergisst und ganz in der Welt der Figur aufgeht, kann nur bei einer Figur stattfinden, die kämpft.



Fängst Du mit deiner Geschichte vor dem eigentlichen Anfang an


An welcher Stelle beginnst Du nun mit ihrer Schilderung von Ereignissen, an denen bemerkenswert Figuren beteiligt sind?

Normalerweise fängst Du genau vor dem Anfang an.

Das ist nicht so paradox, wie es klingt. Wenn Du das Leben eines Menschen als Ganzes betrachtest, gibt es darin Höhen und Tiefen, gute und schlechte Zeiten. Du wirst für deine Erzählung eine bestimmte Geschichte aus diesem Leben aussuchen, beispielsweise den Zeitpunkt, als sie ihre Ansicht nach potentiell die dramatischste, spannendste und unverbrauchtes ist.



Wo genau würdest Du mit deiner Schilderung von Ereignissen einsetzen? Die beste Stelle wäre wahrscheinlich kurz vor der Kündigung. Der Rausschmiss selbst markiert den Anfang der Geschichte. Doch kannst Du die Bedeutung dieses Rausschmisses nicht verstehen, wenn du die Situation der Figur, bevor sie gefeuert wurde, nicht einschätzen kannst. Ist die Kündigung für dich eine gute oder eine schlechte Sache? Wenn der Job schrecklich ist und du sowieso kündigen wolltest, ist die Kündigung eine Erleichterung. Wenn du den Job dringend brauchst und die Kündigung den möglichen Ruin bedeutet, dann hast Du eine vollkommen andere Situation. Ereignisse können nur im Zusammenhang mit der Situation verstanden werden, in der sich die Figur zum Zeitpunkt des Geschehens befindet. Deshalb ist es wichtig, dass der Leser den Status quo kennt, d.h. die Lage der Dinge zu einem bestimmten Zeitpunkt, die Ausgangssituation.

Die Ereignisse vor der Kündigung finden innerhalb der Ausgangssituation statt. Der zentrale Konflikt würde mit dem Rausschmiss einsetzen.


Die Alternativen

Wenn Du dich entschließt, nicht vor dem Anfang anzufangen, keine Ausgangssituation zu beschreiben, dann stehst Du vor dem Problem, dass Du die Figur und das Dilemma, in dem sie sich befindet, gleichzeitig einführen und den Leser später über die Ausgangsituation der Figur informieren müssen. Nehmen wir mal an, Du beschließt, deine Geschichte genau mit dem Anfang anfangen zu lassen, im Augenblick der Entlassung.



Episode und Figur: Wie das eine aus dem anderem entsteht

Aristoteles sagt in einer Poetik, dass die Dauer eines Dramas so bemessen sein sollte, dass für den Helden „angemessener- oder notwendigerweise im Ablauf der Handlung der Umschlag erfolgt von Glück zu Unglück oder von Unglück zu Glück. Dreiundzwanzig Jahrhunderte später sagt Egri das gleiche, wenn er fordert, dass eine Figur „von einem Pol zum anderen wachsen“ solle. Ein Feigling wird mutig, ein Geliebter wird zum Feind, ein Heiliger ein Sünder – das bedeutet Wachstum von einem Pol zum anderen.

Wenn Du deinen Roman planst, musst Du nicht nur die einzelnen Episoden entwerfen, sondern auch die Entwicklungsphasen Ihrer Figuren (oder, wie Egri und andere das nennen, ihr „Wachstum“). Damit Du den Konflikt langsam steigern kannst, muss sich die Figur entwickeln, sie muss sich stufenweise verändern, durch allmähliches Wachsen von Pol zu Pol. Dies kann in der Planungsphase des Romans durch Verwendung eines Stufendiagramms erarbeitet werden.

Ein Stufendiagramm ist eine detaillierte Aufstellung der Episoden einer Geschichte. Die Verwendung eines solchen Stufendiagramms ermöglicht es dem Autor, den Überblick über seine Geschichte zu behalten. Stell Dir es als eine Art Blaupause vor.


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